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Cyril Tuschi
Kampf für Ideale und Werte
Interview: Cyril Tuschi fordert Russland heraus
Angefangen hat Cyril Tuschi als Spielfilmregisseur. Als er auf einem sibirischen Filmfestival sein Roadmovie "SommerHundeSöhne" vorstellt, verlagert sich sein Interesse schlagartig. Er lernt ein Land voller Kontraste und Widersprüche kennen. Beispielhaft dafür stand ihm vor allem der Aufsehen erregende Fall Michail Chodorkowskis vor Augen. Und so dreht Tuschi einen Dokumentarfilm über den Unternehmer, der sich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin angelegt hat und eine mehrjährige Haftstrafe absitzt. Filmreporter.de hat sich mit dem 42-jährigen Filmemacher unterhalten und ihn über Chodorkowski, die fragwürdige Allianz von Politik und Wirtschaft in Russland sowie den Werteverlust der westeuropäischen Politik befragt.
erschienen am 17. 11. 2011
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Der Fall Chodorkowski
Ricore: Wie kamen Sie auf die Idee, einen Dokumentarfilm über Michail Chodorkowski zu inszenieren?

Cyril Tuschi: Bis zur Beschäftigung mit "Der Fall Chodorkowski" waren Fantasie- und Märchenstoffe mein eigentliches Gebiet. Ich denke, dass Filme eine andere Welt zeigen sollen, als die uns bekannte. Insofern wunderte ich mich, dass ich mich für ein solches Thema interessiere und dann auch noch für einen Menschen, mit dem ich bis dahin keine Schnittpunkte hatte. Die Initialzündung war, als ich mit meinem Film "SommerHundeSöhne" auf einem Festival in Sibirien eingeladen war. Da sind mir die Widersprüche und Gegensätze dieses Landes aufgefallen. Ich dachte mir, dass hier irgendwie nichts zusammen passt. Die Geschichte um Yukos und Chodorkowski fand ich so spannend, dass es mir wie erfunden schien. Es war wie ein Drehbuch.

Ricore: Chodorkowsi hat in Ihrem Film eine gewisse Faszination. Am Ende fragt man sich unwillkürlich, was hinter der Fassade dieses Menschen steckt. Ist er ihrer Meinung nach nur Opfer oder auch Täter?

Tuschi: Im Laufe der Arbeit an "Der Fall Chodorkowski" habe ich mich intensiv mit der Moralfrage beschäftigt und mich gefragt, was denn Moral überhaupt ist. Vor diesem Hintergrund ist Chodorkowski sicherlich beides, Opfer und Täter. Die Tatsache, dass man ihn über die Klinge springen ließ, damit sich andere Oligarchen benehmen, macht ihn vielleicht zu einem Opfer. Gleichzeitig ist er aber auch tausendfach Täter. Er hat für seine Ehre seine Familie verlassen. In den 1990er Jahren handelte er klassisch kapitalistisch, entließ Hunderttausende von Mitarbeitern, um die Firma zu retten. Er ist insofern ein Täter, als er für ein höheres Ziel bereit war, die Menschlichkeit zu opfern. Gleichzeitig ist es aber auch ein heroisches Handeln. Normale Menschen würden so etwas nicht machen, viele wären einen weit weniger schmerzvollen Weg gegangen, indem sie Familie oder sich selbst zuerst in Sicherheit gebracht hätten. Chodorkowski tat das nicht - aus welchen Gründen auch immer. Das hatte mich beeindruckt.

Ricore: Im Jahr 2000 macht Chodorkowski eine Wandlung durch. Man hat das Gefühl, das er vom Pragmatiker zum Idealisten wurde. Ist das glaubwürdig oder war das eher Kalkül für ein höheres Ziel?

Tuschi: Ja, das ist es eben (lacht). Ich weiß es nicht. Wenn man Zyniker ist, kann man das als Berechnung deuten. Ich glaube aber, dass da tatsächlich etwas passiert ist. Oder es ist eine Mischung aus beidem. Hundertprozentig kann ich das nicht sagen.
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Der Fall Chodorkowski
Ricore: Chodorkowski hatte sicher auch politische Ambitionen. Hätte er Putin auf der politischen Bühne gefährlich werden können?

Tuschi: Das wurde am Ende offensichtlich, sonst wäre er nicht im Gefängnis gelandet. Er war aber auch realistisch genug, um zu sehen, dass er als Halbjude für das Präsidentenamt nicht in Frage kommt. Aber als Premierminister wäre er sicher locker in Frage gekommen. Ob er eine Gefahr für Putin darstellte oder ob der Kreml in seinem Fall einfach der Paranoia erlag oder ob es ein Komplott dritter war, die an Chodorkowskis Firma wollten, das wird nie hundertprozentig geklärt werden. Tatsache ist, dass es vielen genützt hat, dass Chodorkowski jetzt im Gefängnis sitzt.

Ricore: In Russland wird Chodorkowski mehrheitlich als Verbrecher betrachtet, was offenbar Folge der Propaganda ist.

Tuschi: Ja, eindeutig. 95 Prozent der Medien sind in Staatshand. Damit kann man einem Volk recht erfolgreich Informationen einflüstern. Die restlichen fünf Prozent liefern für die Machthaber ein Argument, um demokratischen Ländern das Bild eines offenen Landes zu vermitteln. Dieser Anteil ist aber so klein, dass man ihn vernachlässigen kann. Deswegen wird er meist geduldet.

Ricore: Wie die aktuelle politische Entwicklung in Russland zeigt, scheint Putin vor seiner zweiten Präsidentschaft zu stehen. Wird die Regierung weitere Vorwände finden, um Chodorkowski im Gefängnis zu belassen?

Tuschi: Ja, auf jeden Fall. Das ist tragisch, andererseits denke ich, dass das alles eine Logik hat.

Ricore: Glauben Sie, dass das Ausland - seien es Regierungen oder Menschenrechtsorganisationen - etwas bewirken kann?

Tuschi: Ich denke, das kann es. Ich war geschockt, wie wenig letztlich aber getan wird. Sowohl Europa als auch Amerika reden mehr, als die handeln. Sie haben Angst, dass ihnen der Ölhahn abgedreht wird. Wenn man aber etwas unternehmen würde, könnte man durchaus etwas bewirken. Das zeigt der Fall Sergej Magnitzki, der Anwalt eines großen amerikanischen Investors. Als er im Gefängnis wegen unterlassener Hilfeleistung starb, verweigerten die USA und England den mutmaßlichen Verantwortlichen im Kreml das Visum für die Einreise in ihre Länder. Außerdem wurden ihre Auslandskonten gepfändet. Das hat funktioniert. Alles andere ist nur Gerede und Blödsinn. Ich bin da sehr enttäuscht. Ich ging einmal davon aus, dass Europa etwas tun könnte. Doch dann merkte ich, dass das nur Papiertiger sind, die Millionen in der Bürokratie verpuffen lassen.
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Cyril Tuschi während der Dreharbeiten zu "Der Fall Chodorkowski"
Ricore: Verstehen Sie Ihren Film vor diesem Hintergrund auch als Anklage gegen die mangelnde Courage Europas.

Tuschi: Nicht direkt, weil ich erst nach Beendigung des Films zu der Erkenntnis kam, wie schwach die europäischen Demokratien sind. Aber indirekt kann man den Film schon als Anklage verstehen. Abgesehen davon war ich bis zu "Der Fall Chodorkowski" nicht besonders politisch. Wie gesagt, vorher war ich eher auf das Fabulieren und Entdecken aus, das Politische fand ich eher anstrengend.

Ricore: Sie zeigen ein düsteres Bild der europäischen Politik und Wirtschaft. An einer Stelle des Films attestiert Ihnen Ihr Gesprächspartner Joschka Fischer geradezu vorwurfsvoll Idealismus. Hat Idealismus auf politischer und wirtschaftlicher Bühne überhaupt eine Chance oder wird das System nur von Pragmatismus und Egoismus gesteuert?

Tuschi: Ja, leider haben die zerstörerischen Kräfte sehr viel mehr Durchschlagskraft als die idealistischen. Dennoch sollte man nicht resignieren und an den Idealen festhalten.

Ricore: Machen Sie Spiel- und Dokumentarfilme, um etwas zu bewirken?

Tuschi: Ja, ich finde, dass man im Kino immer auch etwas lernen kann. Das gilt nicht nur für den Dokumentar-, sondern auch für den Spielfilm. Das Thema muss nicht unbedingt politisch sein. Man kann auch über Menschen oder sich selbst etwas lernen. Ich kann zwar verstehen, dass einige Menschen im Film nur Zerstreuung suchen. Reines Unterhaltungskino möchte ich dennoch nicht machen. Das wäre zu belanglos und außerdem mit zu viel Aufwand verbunden. Film sollte schon mehr als Zerstreuung bieten.
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Cyril Tuschi auf dem Weg nach Sibirien
Ricore: Ein Aspekt, der im Film auch zum Tragen kommt, ist die Angst vor dem System. Hatten Sie im Laufe der Beschäftigung mit dem Thema Angst um Ihre Sicherheit?

Tuschi: Ja, die Paranoia war schon sehr dominant. Es hat ja schon mehrere Fälle gegeben, wo Journalisten eingeschüchtert, angegriffen oder sogar umgebracht wurden. Wir sind einmal verfolgt worden, doch Gottseidank ist niemand zu Schaden gekommen. Man wollte uns nur zu verstehen geben, dass wir unter Beobachtung stehen. Wenn der Druck bedrohlicher geworden wäre, hätte ich das Projekt gestoppt. Ich tauge nicht zum Helden. Auch auf die russische Premiere werde ich nicht alleine fahren.

Ricore: Spüren Sie auch heute Druck seitens der russischen Regierung?

Tuschi: Druck habe ich im Grunde niemals richtig gespürt. Es war eher eine arrogante Haltung nach dem Motto: Was will denn dieser kleine dumme Deutsche? Der kann uns eh nichts anhaben.

Ricore: Andererseits wurden Sie immer wieder bei der Auswertung des Films behindert, wenn man an den Vorfall im Rahmen der Berlinale denkt. Oder als der Film auf dem Zürcher Filmfestival in ein kleineres Nebenkino abgeschoben wurde.

Tuschi: Was den Vorfall in Zürich betrifft, so ist das eher ein europäisches Problem gewesen. Es ist vorauseilender Gehorsam, der mich eher provoziert und wütend macht und meinen Kampfgeist weckt, als dass er mir Angst einjagt.

Ricore: Trotz der Tatsache, dass der Fall Chodorkowski für die russische Regierung ein heikles Thema ist, haben Sie im Gefängnis ein Interview mit dem Unternehmer bekommen. Wie haben Sie das geschafft?

Tuschi: Sicherlich hat Beharrlichkeit vieles bewirkt. Entscheidend war aber auch gutes Timing sowie die Tatsache, dass wir uns einfach getraut haben zu fragen. Jedenfalls war das schon etwas Besonderes.
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Cyril Tuschi mit Kamera
Ricore: Das hat man auch an Ihrer Stimme gemerkt, Sie waren hörbar aufgeregt.

Tuschi: Ja, ich war doppelt nervös. Ich hatte keinen Kameramann, sodass ich die Kamera selbst halten musste. Ich dachte, hoffentlich geht jetzt technisch nichts schief. (lacht)

Ricore: Ihr Nächstes Projekt wird sich mit dem Wikileaks-Gründer Julian Assange befassen. Handelt es sich dabei um einen Spiel- oder Dokumentarfilm?

Tuschi: Ich denke, dass ich in diesem Fall in Richtung Spielfilm tendiere. Ich möchte auf jeden Fall etwas mit Schauspielern machen.

Ricore: Werden Sie für das Projekt mit Assange in Kontakt treten?

Tuschi: Nein, für den Film werde ich nicht extra mit ihm Kontakt aufnehmen. Wo ich bei "Der Fall Chodorkowski" die Nähe suchte, möchte ich im Fall Assange lieber auf Distanz gehen. Ich hoffe dadurch, einerseits mehr Freiheit in der fiktionalen Gestaltung zu bekommen, andererseits aber auch der Realität gerechter zu werden. Das ist nicht einfach. Förderer befürchten, dass wir verklagt werden könnten. Um dem zuvorzukommen, habe ich mich mit einem Anwalt für Persönlichkeitsrecht kurzgeschlossen. Er wird das Drehbuch regelmäßig gegenlesen, damit wir uns nicht ins Knie schießen. Aber grundsätzlich hege ich Sympathien mit Assange, obwohl er mindestens genauso ambivalent ist, wie Chodorkowski.

Ricore: Werden Sie in Zukunft wieder zum Dokumentarfilm zurückkehren oder war "Der Fall Chodorkowski" ein einmaliger Ausflug?

Tuschi: Für mich ist der Dokumentarfilm eine Bereicherung. Ich kann und werde beides machen, solange es Themen gibt. Wenn ich noch die Kraft habe, dann werde ich von "Der Fall Chodorkowski" eine längere Version für das Fernsehen schneiden. Dafür habe ich noch viel Material und auch thematisch lässt sich der Film um einiges erweitern. Aber ob ich nochmal so viel Zeit für ein Dokumentarprojekt investieren werde, das bezweifle ich. Fünf Jahre war zu viel. Da bleibt das Privatleben doch sehr auf der Strecke.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 17. November 2011
Zum Thema
Der 1969 in Frankfurt am Main geborene Cyril Tuschi besucht eine Schule in Seattle. In den 1980er Jahren gründet er zunächst einen Nachtclub, um ab 1989 in seiner Geburtsstadt Philosophie zu studieren. Nach seinen ersten Kurzfilm "Frankfurt am Meer" (1992) studiert er an SommerHundeSöhne" seinen ersten Spielfilm. Der Fall Chodorkowski", mit der er am Beispiel des ehemaligen Oligarchen Michail Chodorkowski ein düsteres Bild der russischen und westeuropäischen Politik und Wirtschaft zeichnet...
Michail Chodorkowski ist einer der einflussreichsten Unternehmer Russlands. Als seine Macht zu groß wird und er sich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin anlegt, wird er 2003 wegen angeblicher Steuerhinterziehung verhaftet und verurteilt. Die Dokumentation "Der Fall Chodorkowski" beleuchtet die Hintergründe des Prozesses, wobei sich die Recherchen von Cyril Tuschi zu einem vielschichtigen Porträt eines Menschen und einer Anklage gegen den moralischen Relativismus der Politik und..
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