Ricore
Byambasuren Davaa über kulturelle Unterschiede
Interview: In Hollywood leben auch Menschen
Byambasuren Davaa gelang 2003 mit ihrem Regiedebüt "Die Geschichte vom weinenden Kamel" ein toller Debüterfolg. Der Film war für den Oscar nominiert und schaffte mit 324 000 Besuchern einen weitaus besseren Schnitt als vergleichbare Produktionen. Nun bringt die Filmemacherin ihren Folgefilm in die Kinos - und portraitiert in "Die Höhle des gelben Hundes" einmal mehr das Alltagsleben einer mongolischen Nomadenfamilie. Warum sie das nicht einfallslos findet und warum sie bei diesem Film weniger inszeniert als beobachtet hat, erklärte uns die 34-jährige Filmstudentin bei dem Interview in München.
erschienen am 24. 07. 2005
Regisseurin Byambasuren Davaa bei der Realisierung ihres 2. Films
Ricore: Frau Davaa, mit "Die Höhle des gelben Hundes" bedienen Sie sich wie auch bei Ihrem Regiedebüt an den Schätzen der mongolischen Tradition. Etwas einfallslos, nicht wahr?

Byambasuren Davaa: Es ist mir klar, dass ich als Widerholungstäterin dastehe, aber eigentlich war und bin ich völlig unvoreingenommen. Ich schließe nichts aus, alles ist möglich. Meine Arbeit an meinem letzten Film hat mich so beeindruckt, dass ich wieder in meiner Heimat arbeiten wollte. Die Thematik der Story stand bereits vor dem unerwarteten Erfolg von der "Geschichte vom weinenden Kamel".

Ricore: Genießen Sie jetzt Narrenfreiheit an der Hochschule für Fernsehen und Film, an der Sie noch immer studieren?

Davaa: Die HFF ließ mich meinen ersten Film ohne Einschränkungen in der Mongolei drehen. Ich durfte mein Team selbst zusammenstellen und wurde nur da unterstützt, wo ich wirklich Hilfe benötigte. Mehr Freiheiten kann ich mir auch nach einer Oscarnominierung nicht wünschen.

Ricore: Sie folgen dieses Mal einer Nomadenfamilie durch den fruchtbaren Nordwesten der Mongolei und liefern intime Einblicke in deren Leben und Alltag. Wie viel davon ist authentisch?

Davaa: Die Story ist das einzig fiktive. Die portraitieren Personen sind auch im wirklichen Leben eine Familie und haben mit Schauspielerei nichts am Hut. Ich bin mit einer unfertigen Idee in die Mongolei gekommen und machte mich auf die Suche nach einer geeigneten Familie. Erst als ich wusste, was und wen ich zur Verfügung hatte, fügte sich die Story allmählich zu einem ganzen. Ein wichtiger Bestandteil dieses Prozesses waren auch die eigenen Vorschläge der Nomadenfamilie, was sie für besonders wichtig erachteten.

Ricore: Gab es mongolische Sitten, die Ihr ausländisches Team beachten musste?

Davaa: Die mongolischen Höflichkeitsbekundungen sind sehr ausgeprägt und kommen Ausländern oft seltsam vor. Ein simples Beispiel: Dinge werden immer mit der rechten Hand übergeben. Die Linke dagegen ist ein klares Zeichen für Missachtung. Ich habe das Team von den wichtigsten Regeln in Kenntnis gesetzt. Alles andere kam ganz von alleine. Wenn man offen und lernwillig ist, kann man sich in der Mongolei schnell einfügen.
Davaa am Set zweiten Filmprojekts
Ricore: Was ist für Sie das Faszinierendste an der mongolischen Kultur?

Davaa: Ich bin tief beeindruckt, mit welcher Fürsorge und Behutsamkeit sie mit der Natur umgehen. Es ist eine Form der Würde, die in den meisten Völkern abhanden gekommen ist. Wenn die Mongolen ihre Zelte abbrechen, danken sie ihrer Umgebung für den Aufenthalt. Sie stehen in enger Kommunikation mit der Natur und wirken dadurch mit sich selbst im Einklang.

Ricore: Ihr Film lebt von der Bildgewalt, die Story dagegen ist teilweise recht langatmig. Sind Sie eher eine Bild- als eine Textregisseurin?

Davaa: Das kann ich so nicht sagen. Für mich ist die Geschichte eigentlich der Kern des Films. In unserem Fall: Die Sage eines gelben Hundes, der in einer Höhle gefangen ist. Erst wenn ich ein Grundgerüst habe, suche ich Bilder, die die einzelnen Erzählstränge miteinander verweben.

Ricore: Wie schwer fiel Ihnen dabei der Dreh mit Hunden, Assgeiern und mehreren Kleinkindern?

Davaa: Tierdrehs sind mit einiger Raffinesse immer gut zu meistern. Hunde lernen schnell, vor allem, wenn ihnen eine Wurst in Aussicht steht. Kleinkinder dagegen sind problematisch, da man bei ihnen einfach nicht planen kann. Die Szenen mit ihnen basieren auch weniger auf Inszenierung als Beobachtung. Nur indem ich mich auf die Lauer legte, konnte es passieren, dass ich die Kids dabei erwische, wie sie morgens aufwachen und mit ihren Geschwistern herumtollen. In solchen Momenten hieß es: Kamera draufhalten und sehen was passiert.

Ricore: Das erwachsene Ehepaar wusste, wie man sich bei einem Filmdreh zu verhalten hat?

Davaa: Zumindest wussten die beiden, was ein Film überhaupt ist. Bei allem anderen waren sie sehr lernfähig, obwohl sie auch das einiges an Überwindung kostete. Denn am Anfang stand Skepsis und die Frage, warum ich gerade eine so durchschnittliche Familie wie sie portraitieren möchte. Ich musste ihnen erst alles erklären und Vertrauen aufbauen.

Ricore: Sie sind selbst in der Mongolei aufgewachsen. Wie empfanden Sie mit diesem konventionellen Background den aufgesetzten Glamour bei der Oscarverleihung in Los Angeles?

Davaa: Es war ein Erlebnis, das mir sehr viel Spaß gemacht hat. In gewisser Hinsicht war es auch eine Überraschung. Zum einen war der Verhaltenskodex wesentlich weniger streng, als ich im Vorfeld vermutet hatte. Zum anderen war ich erstaunt, wie locker die meisten der dortigen Stars drauf sind. Mein Fazit: In Hollywood leben auch nur Menschen. Dort wird genauso mit Wasser gekocht wie bei uns auch.
erschienen am 24. Juli 2005
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Ihr Vorname bedeutet 'Seele des Baumes'. Treffender geht's kaum. Mit "Die Geschichte vom weinenden Kamel" - einem Studienprojekt an der Münchner Filmhochschule - hat Byambasuren Davaa ein bewegendes Dokument einer im besten Sinne des Wortes natürlichen Koexistenz vorgelegt, das prompt mit einer Oscar-Nominierung gewürdigt wird.
Byambasuren Davaas ("Die Geschichte vom weinenden Kamel") zweiter Spielfilm ist ebenfalls in ihrer mongolischen Heimat angesiedelt. Wieder steht eine in den Weiten der Tundra lebende Familie und ihre Tiere im Mittelpunkt der Erzählung. Der kleine Findlingshund "Zochor" soll nach dem Willen der Eltern nicht bleiben, was den Kindern fast die Herzen bricht. Als der dem jüngsten Spross der Familie das Leben rettet, darf der süße, schwarzweiß gefleckte Vierbeiner doch bleiben.
2024