Warner Bros.
Marie Noëlle und Peter Sehr bei der Premiere von "Ludwig II."
Konstruktiv streiten: Arbeit und Liebe
Interview: Peter Sehr und Marie Noëlle
Peter Sehr und Marie Noëlle sind seit über 30 Jahren verheiratet. So lange arbeiten die beiden als Drehbuchautoren, Regisseure und Produzenten zusammen. 'Wir sind wie Tag und Nacht, deswegen passen wir so gut zusammen', so Noëlle. Wer den beiden gegenübersitzt, kann das nachvollziehen. Während des Interviews mit Filmreporter.de fallen sie sich munter ins Wort und widersprechen einander. Trotzdem kommen sie stets auf einen gemeinsamen Nenner. Das spürt man auch bei ihrem neuesten Filmprojekt "Ludwig II.", einem Historiendrama über den bayrischen Märchenkönig.
erschienen am 26. 12. 2012
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Ludwig II.
Ricore: Der Film behandelt ein großes Thema. Wie viel Fachliteratur haben Sie gelesen, um sich darauf vorzubereiten?

Marie Noëlle: Wir haben acht Jahre an diesem Projekt gearbeitet, bevor wir überhaupt etwas gedreht haben. Die Recherche selbst hat drei Jahre gedauert. Das war ein Mammut-Unternehmen. Wir haben natürlich mit Biografien angefangen und dabei festgestellt, dass jede Biografie auch eine Interpretation ist. Uns war klar, dass wir zur Originalliteratur zurückkehren müssen. Das bedeutete viele Gänge in die Nationalbibliothek, um die vielen Zeitungen der Zeit, Tagebucheinträge und Zeugenberichte durchzulesen. Erst dadurch konnten wir überhaupt einen Zugang zu Ludwig finden. Nebenbei haben wir Kontakt zu den Koryphäen der Ludwig-Forschung hergestellt und etliche Seminare besucht. In Dr. Immler, dem Direktor des Geheimarchivs der Wittelsbacher, haben wir einen Vertrauten gefunden, der von der Seriosität unserer Recherche überzeugt war. Von da an hat er uns bis zur Fertigstellung des Films historisch begleitet.

Peter Sehr: ...der viele Unterlagern hatte, die nie veröffentlicht wurden...

Noëlle: Ja, das wollte ich gerade sagen.

Sehr: (zu Noëlle) Entschuldige bitte!

Noëlle: Dr. Immler hat sich also eine Drehbuchfassung von uns angesehen und war von dem Projekt überzeugt. Daraufhin hat er uns Zugang zu anderen Texten gewährt, an die man nicht so leicht rankommt. Von da an hat er uns bis zur Fertigstellung des Films begleitet.

Ricore: Gibt es wirklich so viel Literatur über Ludwig, die gar nicht veröffentlicht wurde?

Sehr: Man wollte damals, dass man dem wirklichen Ludwig nicht nahe kommt. Man hat ihn einfach als wahnsinnig erklärt und so hat man ihn dann auch wahrgenommen. Er war ja eigentlich gar nicht so wahnsinnig, sondern eher depressiv. Aber unter der Bayerischen Verfassung konnte man den König nur unter einer Bedingung entthronen, indem man ihn als wahnsinnig erklärt. Die Schlösser waren seine Welt der Schönheit und des Friedens. Er wurde zuvor in zwei Kriege gezwungen und mit dieser Welt wollte er nichts mehr zu tun haben. Er war wirklich der Meinung, wenn er den Frieden in Bayern schaffe, werde der Frieden auch in die weite Welt hinausgetragen. Er dachte, er sei von Gott dazu berufen worden.

Ricore: Auf welcher literarischen Grundlage beruhen die Dialoge?

Noëlle: Es gab keine literarische Vorlage, weil wir uns auf den Menschen Ludwig konzentriert haben. Ludwig war ein sehr belesener Mann, der sehr viel in literarischen Zitaten gesprochen hat. Wir wollten diese Tatsache berücksichtigen aber ihm trotzdem eine lebendige und für die heutige Welt verständliche Sprache geben. So ist das Drehbuch eine Mischung aus echten Zitaten und erfundenem Dialog. Das war eine der vielen Herausforderungen dieses Films. Der Brief zum Beispiel, in dem Ludwig seine Verlobung mit Sophie auflöst, ist original. Auch historische Tagebucheinträge haben wir verwendet. Wir wollten die literarische Distanz vermeiden und dafür die seelischen Prozesse verständlich machen.

Sehr: Wir haben uns hauptsächlich mit der emotionalen Seite von Ludwig beschäftigt. Deswegen konnten wir ein Drehbuch schreiben, dass seiner Person sehr nahe entspricht. Uns war es wichtig, dass wir Ludwig kennenlernen, bevor wir überhaupt etwas schreiben. Erst wenn man weiß, wie jemand denkt und fühlt, kann man ein Drehbuch entwickeln, das wirklich Sinn macht.
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Sabin Tambrea und Edgar Selge in ihren Rollen bei "Ludwig II."
Ricore: Der Film beginnt mit Ludwigs Thronbesteigung als 19-jähriger und endet mit seinem Tod mit 41 Jahren. Dazwischen werden mehrere Jahre ausgespart. Wie haben Sie die Schwerpunkte der Geschichte festgelegt?

Noëlle: Wir wussten gleich, wir wollen die Geschichte chronologisch erzählen, von Ludwigs Thronbesteigung 1864 bis zu dem Krieg gegen Frankreich und der Gründung des Deutschen Reiches 1871. Nach diesem für ihn katastrophalen Ereignis hat er sich zurückgezogen, hat sich nur noch dem Aufbau seiner kleinen friedlichen schönen Welt fernab von München gewidmet. So konzentrierte er sich auf den Bau seiner Schlösser, arbeitete nur nachts. Er hat sich aber sehr in seine Einsamkeit verstrickt. Diese Zeit war für uns ein klarer Bruch. Deshalb dieser Sprung von 1871 bis in die Zeit kurz vor seinem Tod.

Ricore: Sie vertiefen besonders das Verhältnis zwischen Ludwig und Wagner. War diese Beziehung ein entscheidendes Thema für den Film?

Noëlle: Ja, diese Beziehung war von Anfang an ein ganz wichtiger Punkt. Ludwig und Wagner gehören einfach zusammen. Man könnte ohne Wagner keinen Film über Ludwig machen. Es war für ihn wie ein Ersatzvater. Und Wagner hat wiederum Ludwig viel zu verdanken. Die interessantesten Kompositionen wären ohne diese außergewöhnliche Beziehung gar nicht entstanden.

Sehr: Wagner war für Ludwig lebensnotwendig, um seine Vision der Kultur für alle umzusetzen. Deshalb hat er das Risiko auf sich genommen, einen damals als Revolutionär gestempelten Künstler an seinem Hof zu holen. Als man ihn später dazu gezwungen hat, Wagner rauszuschmeißen, war das für ihn eine Katastrophe. Um Wagner zu folgen, wäre er sogar als König zurückgetreten. Er war ihm viel wichtiger als sein Königtum.

Ricore: Wie wichtig ist die Homosexualität Ludwigs? Gibt es Beweise, auf die Sie ihre Behauptung stützen?

Noëlle: Es ist bewiesen, dass Ludwig homosexuelle Neigungen hatte. Er hat sich sehr oft zu Männern hingezogen gefühlt, aber wir haben das im Film natürlich gebündelt. Denn Ludwig hat sich vor allem nach Liebe gesehnt, aber er hat sich diese Liebe verboten.

Sehr: Er war gläubig und die Liebe nach der er sich gesehnt hat, war von Gott verboten!

Noëlle: Das war für Ludwig ein Drama. Wenn man in seinem Tagebuch liest, wie oft er geschrieben hat: "Nie wieder küssen!" macht es einem unendlich traurig. Ludwig hat sich sein Leben lang bemüht rein zu sein. Das hat mich begeistert. Er hätte seine Cousine heiraten, um den Schein zu bewahren und sich Liebhabern gönnen können. Aber das hat er nicht gemacht. Er wollte seine Cousine, die er sehr schätzte, nicht lumpen.

Sehr: Bis 1973 wurden Männer in Deutschland sogar noch verhaftet, wenn sie bei homosexuellen Aktivitäten beobachtet wurden. Im Grunde war dieses Leben bis vor 40 Jahren noch gar nicht möglich. Das hat sich ja erst in den letzten Jahren geändert.

Noëlle: Aber selbst heute ist das Leben für einen jungen Mann, der seine Homosexualität entdeckt, immer noch nicht einfach.

Sehr: Doch, das muss ich jetzt noch sagen. Bei Frauen wird die Homosexualität eher akzeptiert als bei Männern.

Noëlle: Na ja, aber auch nur bedingt.

Sehr: Doch, das ist so.

Noëlle: (zu Sehr) Ja. (zu Ricore) Aber jetzt zur letzten Frage!
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Die Regisseure Marie Noëlle und Peter Sehr von "Ludwig II."
Ricore: Sie arbeiten schon seit über 30 Jahren zusammen und sind auch verheiratet. Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen Ihnen beiden ab? Hat jeder seinen Zuständigkeitsbereich?

Noëlle: Wir sind sehr komplementär, wie der Tag und die Nacht, deswegen passen wir so gut zusammen. Wir sind sehr eingespielt, das ist auch sehr wichtig. Unsere Zusammenarbeit beruht auf einem gegenseitigen Respekt für die Vision des anderen und auf großem Vertrauen. Wenn wir beim Film mal unterschiedlicher Meinung sind, drehen wir einfach beide Fassungen und danach entscheiden wir uns, welche Version besser passt. Das funktioniert auch mit konstruktivem Streiten.

Sehr: Frauen haben viel Kreativität und stehen mehr zu ihrer Emotionalität.

Noëlle: (ironischer Unterton) Oh, danke!

Sehr: (ganz ernst) Ja, wirklich. Deswegen ist es auch so wichtig, dass man gemeinsam über die Kreativität reflektiert, weil Männer oft ganz anders handeln als Frauen.

Noëlle: Stimmt!

Sehr: Frauen gehen auch viel öfter ins Kino als Männer. Bei einem Paar entscheidet oft die Frau. Deswegen finde ich es auch gut, dass mittlerweile immer mehr Frauen Regie machen. Vor 30 Jahren war das noch nicht so.

Noëlle: Frauen haben ja sowieso einen viel besseren Galgenhumor als Männer.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 26. Dezember 2012
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Peter Sehr ist promovierter Biophysiker. Der 1951 geborene Hesse ist sehr weltgewandt, er verbringt seine Zeit in der Schweiz, Südamerika, England und Frankreich. In Paris macht er mehrere Regieassistenzen und findet Gefallen an der Filmbranche. Zusammen mit seiner zweiten Frau Marie Noëlle gründet er 1988 die Und nicht ein Tohuwabohu". 1991 folgt der Drama "Das serbische Mädchen". Drei Jahre später wird er für "Kaspar Hauser" beim Obsession" und "Love the Hard Way" im Jahr 2001, an denen zum..
Wie ihr Mann Peter Sehr kommt auch Marie Noëlle ursprünglich nicht aus der Filmbranche. Die Französin wächst in Frankreich auf und studiert zunächst Mathematik. Seit dem Kurzfilm "A Group of People" im Jahr 1979 arbeitet sie mit ihrem Mann zusammen. Anfangs schreibt sie die Drehbücher und Peter führt Regie. Doch schon bald betätigt sich auch Noëlle als Filmemacherin. Ich erzähle mir einen Mann" ihr Regiedebüt. Mittlerweile geht die Arbeit zwischen ihr und Sehr Hand in Hand. Sie machen alles..
Ludwig II. (Kinofilm)
Ludwig II. (Sabin Tambrea, Sebastian Schipper) besteigt mit 18 Jahren den bayerischen Thron. Seine Träume von einer von Kunst geprägten Welt scheitern an der materiellen Wirklichkeit. In den Straßen seines Reichs herrscht Armut, außenpolitisch droht Bayern der Krieg gegen Frankreich und Preußen, im Innern rebellieren seine Minister gegen seine politischen Pläne. Resigniert zieht sich Ludwig II. aus der Öffentlichkeit zurück. Vierzig Jahre nach Luchino Viscontis gleichnamigem Meisterwerk hat..
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