Tobis Film
Barney Clark in: Oliver Twist
Traumrolle für 12-jährigen Barney Clark
Interview: Von Roman Polanski entdeckt
Es ist die übliche Erfolgsstory eines Kindes, dass aus Hunderten von Bewerbern für eine Traumrolle im Kino ausgewählt wird. Roman Polanski sucht lange nach dem geeigneten Hauptdarsteller für seine Filmadaption von Charles Dickens' "Oliver Twist" und entscheidet sich schließlich für den inzwischen 12-jährigen Barney Clark. Der kleine Londoner steht schon seit dem Vorschulalter auf der Bühne und war schon des Öfteren im Fernsehen zu sehen.
erschienen am 25. 12. 2005
Tobis Film
Parallelen: auch Roman Polanski hatte eine schwierige Kindheit
Ricore: Barney , wie hast Du es geschafft, 800 Jungs auszustechen?

Barney Clark: Als ich davon hörte, dass ein Darsteller für "Oliver Twist" gesucht wird, habe ich meinen Vater einfach mal gefragt, ob wir da nicht mal hingehen könnten. Es waren an dem Tag ganz viele Jungs da und ich rechnete mir keine großen Chancen aus. Es dauerte dann auch über ein Jahr, bis ich von der Produktionsfirma wieder etwas hörte. Ich wurde mit zwei anderen Jungs nach Prag zu einem Screentest mit Roman Polanski eingeladen. Als mir schließlich gesagt wurde, ich kriege die Rolle, war ich sehr überrascht und freute mich riesig.

Ricore: Kanntest Du bereits den Roman und die anderen Verfilmungen?

Clark: Das Buch habe ich nie gelesen, aber ich kannte die alte Version von David Lean, die ich ein bisschen langweilig fand. Aber die Musicalversion, die in den 1960ern gedreht wurde, fand ich besser und viel lustiger.

Ricore: War dir klar, dass Roman Polanski einen ernsten Film daraus machen würde?

Clark: Ja, aber sein Film ist trotzdem anders als der ganz alte aus den 1940ern. Mir hat es gefallen, dass sich Roman Polanski einen anderen Schluss ausgedacht hatte. Es hat mich sehr berührt, dass Oliver Twist in der letzten Szene Fagin im Gefängnis besucht und damit klar wird, dass sich die beiden mochten.

Ricore: Hat Dir Polanski erzählt, warum er "Oliver Twist" unbedingt noch einmal verfilmen wollte?

Clark: Nein, er hat nicht viel geredet, aber ich habe gehört, dass er selbst eine schwierige Kindheit hatte. Er verlor durch die Nazis seine Eltern, die jüdisch waren, und musste ganz allein im Ghetto um sein Überleben kämpfen. Er soll - wie Oliver Twist - zeitweise bei einem Bestattungsunternehmer gewohnt haben.
Tobis Film
Will ein ganz normaler Junge bleiben: Barney Clark
Ricore: Bist Du mit ihm gut ausgekommen?

Clark: Er ist ein guter Regisseur, der nie schimpfte und immer die Ruhe bewahrte. Er kann auch sehr komisch sein, und obwohl er mit über 70 ein alter Mann ist, fand ich ihn sehr jung. Er erzählte mir mal, warum er mich für die Rolle aussuchte. Es waren meine Augen, die ihm gefallen haben. Außerdem fand er es gut, dass ich nicht so niedlich aussehe wie die frühern Darsteller von Oliver Twist. Das hat mir gefallen.

Ricore: Glaubst Du, dass Kinder heutzutage noch etwas mit "Oliver Twist" anfangen können?

Clark: Bestimmt, denn es ist noch immer eine tolle Geschichte. Ich glaube, viele Kinder können sich mit Oliver Twist identifizieren. Kinder, die keine Eltern mehr haben und ins Waisenhaus müssen, gibt es auch heute noch. Glücklicherweise werden sie nicht mehr gequält und geschlagen wie vor 200 Jahren.

Ricore: Im Film geht Oliver Twist unter die Diebe. Hat man Dir dafür Taschentricks beigebracht?

Clark: Ja, es gab da so einen Typ am Set, der ein richtiger Profi im Klauen war. Er hat uns sogar Kartentricks gezeigt. Die anderen Jungs und ich haben uns einen Spaß daraus gemacht, uns gegenseitig Dinge wegzunehmen, ohne dass es der andere merkt. Natürlich hat man sie dann wiedergegeben. Ich habe noch nie wirklich geklaut.

Ricore: Was hat sich durch "Oliver Twist" in Deinem Leben verändert?

Clark: Ich durfte viel herumreisen, um den Film vorzustellen. Das war für mich sehr aufregend. Ansonsten hat sich nicht viel verändert. Ich bekomme jetzt viele Filmangebote, und irgendwann möchte ich mal wieder für einen großen Film vor der Kamera stehen. Aber ich bleibe ein ganz normaler Junge, der sich am liebsten mit seinen Freunden trifft, ins Kino geht und Bücher liest. Na ja, ich schaffe im Monat gerade mal ein Buch.
erschienen am 25. Dezember 2005
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2024