Tiger/Ricore Text
Cillian Murphy beim Cannes-Screening
Cillian Murphy zu seinen irischen Wurzeln
Interview: Schreckensgespenst: Gewalt
In Ken Loachs irischem Drama "The Wind That Shakes the Barley" überzeugt Cillian Murphy als junger Kämpfer, der für den Kampf um sein Vaterland seine sichere Zukunft als Medizinstudent aufgibt. Privat hat der 29-jährige Schauspieler seiner Heimat seit Jahren den Rücken gekehrt. Wir unterhielten uns mit dem Familienvater auf den Filmfestivals von Berlin und Cannes - kurz vor seinem dreißigsten Geburtstag.
erschienen am 19. 05. 2006
Verleih
Cillian Murphy in: The Wind That Shakes The Barley
Ricore: Mr. Murphy, Sie sind gebürtiger Ire. Wie wichtig war es Ihnen, die Geschichte Ihres Vaterlands zu erzählen?

Cillian Murphy: Es bedeutet mir sehr viel. Ich bin sehr stolz auf den Film, zumal ich mich voll und ganz auf den Regisseur Ken Loach verlassen habe. Als Schauspieler sagst du bei ihm zu, bevor er die Arbeit am Drehbuch vollendet hat. Du lässt dich fallen und vertraust einfach. Mir war bewusst, dass es ein wichtiger Teil unserer Geschichte darstellt, auch meine Familie war damals betroffen.

Ricore: In den Siebziger und Achtziger Jahren sind viele Iren wegen Jobmöglichkeiten nach England gegangen. Wann hatten Sie den Wunsch, Ihre Heimat Irland zu verlassen und die Welt zu entdecken?

Murphy: Ich lebe seit Jahren in London, und diese Entscheidung war bewusst gewählt. In den 70er Jahren war die Situation eine andere. Irland war noch immer ein gewalttätiges Land, Probleme wurden verdrängt. London war so was wie der Ort der Freiheit, wo man anonym war, seine Sexualität ausleben und überhaupt alles machen konnte, was man wollte.

Ricore: Spürten Sie die Auswirkungen der IRA?

Murphy: Nein. Ärger gab es nur im Norden Irlands, bei mir im Süden war das weniger der Fall. Es blieb das Schreckensgespenst im Fernsehen. Meine Eltern waren Lehrer, ich lebte ein fröhliches Leben der Mittelklasse. Außenseiter war ich nie.
Tiger/Ricore Text
Cillian Murphy und Regisseur Ken Loach auf der Cannes-Premiere
Ricore: Was vermissen Sie an Irland?

Murphy: Meine Familie und Verwandten, sonst nichts. Ich bin dort aufgewachsen und der Meinung, dass es nur positiv ist, wenn man irgendwann aus seiner Heimat wegzieht. Man schätzt es wieder mehr, wenn man zu Besuch zurückkommt. Außerdem wollte ich nicht als irischer Schauspieler enden. Ich will auf der ganzen Welt arbeiten.

Ricore: In Hollywoods A-Liste haben Sie es bislang trotzdem nicht geschafft. Warum?

Murphy: Ich entscheide nicht nach der Größe des Projekts, sondern ob ich mich mit etwas wiederhole. Ohne Herausforderung geht gar nichts. Wäre Christopher Nolan nicht der Regisseur von "Batman Begins" gewesen, hätte ich diesen Film sicher auch nicht gedreht.

Ricore: Am 25. Mai werden Sie 30. Haben Sie schon Bammel?

Murphy: Jeder denkt über das Älterwerden nach, klar. Aber darüber hinaus? Ich bin glücklich, dreißig Jahre ist ein tolles Alter. Meine Zwanziger waren lustig, warum sollten die Dreißiger anders werden?
erschienen am 19. Mai 2006
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Filmemacher Ken Loach präsentiert mit seinem Drama einen etwas anderen Antikriegsfilm. Zwei Brüder kämpfen Seite an Seite gegen die britische Besatzung in Irland. Der zweifelhafte Friedenvertrag führt zu einem blutigen Bürgerkrieg, in dessen Folge auch die einst verbündeten Brüder Damien (Cillian Murphy) und Teddy (Padraic Delaney) zu Todfeinden werden. "The Wind That Shales The Barley" war der Überraschungssieger der Filmfestspiele von Cannes 2006.
Ken Loach ist der Meister des sozialen Dramas. Der neorealistische Regiestil speist seine Inspiration aus den sozialistischen Überzeugungen des englischen Filmemachers. In seinen Werken wird die zeitgenössische gesellschaftapolitische Situation seines Landes wiedergespiegelt. Der bekennende Trotzkist sieht sich immer wieder heftiger Kritik ausgesetzt.
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