Real Fiction
Bierbichler

Bierbichler

Originaltitel
Bierbichler
Kinostart:
Deutschland, am 13.03.2008 bei Real Fiction
Genre
Biographie
Jahr
2007
Länge
90 min.
IMDB
IMDB
|0  katastrophal
brillant  10|
7,0 (Filmreporter)
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Dem Holzfällen auf der Spur - Josef Bierbichler
Regina Schilling hat aus Interviewmaterial und Filmausschnitten ein Porträt des deutschen Theaterschauspielers Josef Bierbichler zusammengesetzt. Bierbichler bestreitet selbst große Teile des Films im Interview mit der Regisseurin oder alleine im Zwiegespräch mit der Handkamera. Er spricht über seinen Ausstieg bei den Münchner Kammerspielen und sein ambivalentes Verhältnis zur Bühne im Allgemeinen, lobt den Skandal-Regisseur Christoph Schlingensief und führt durch sein Elternhaus am Starnberger See. Der Zuschauer erfährt, wie es den Bauern- und Wirtssohn Bierbichler ans Theater verschlagen hat und warum er immer wieder in die Provinz zurückgekehrt ist. Die Dokumentation zeigt außerdem Interviews mit den Weggefährten Werner Herzog und Herbert Achternbusch. Schilling begleitet den Schauspieler Bierbichler auch zu seinen Vorbereitungen und den Theaterproben zu seinem Stück "Holzschlachten. Ein Stück Arbeit".
Nach Josef Bierbichlers Autobiographie "Verfluchtes Fleisch" ist Regina Schillings Dokumentation die zweite große Abrechnung des Schauspielers mit dem Theaterbetrieb. An der Berliner Schaubühne inszenierte Bierbichler 2006 "Holzschlachten. Ein Stück Arbeit." Das Stück, das auf Bierbichlers Initiative zurückgeht, bebildert die verharmlosende Sprache von KZ-Arzt Hans Münch - gespielt von Josef Bierbichler. Am Schluss des Monologs steht das Schäuble-Zitat: "Es werden auch blonde, blauäugige Menschen Opfer von Gewalttaten." Die Dokumentation zeigt nicht nur die Arbeiten am Theater, sondern auch den Schauspieler, der das Holz für die Aufführung aus dem eigenen Wald holt, auf einen Hänger verlädt und bis nach Berlin fährt. Der Film inszeniert Bierbichler genau so, wie er von der Bühne bekannt ist, als imposante Erscheinung in berserkerhafter Pose. Es überrascht, dass sich der Kraftmensch in intimen Gesprächsaufzeichnungen verletzt über Kritiken der Presse zeigt, die ihn immer nur als "Löwen" oder "bärig" beschreibt. An solchen Stellen klingt auch das schlechte Gewissen durch, das Bierbichler wegen seines Berufes hat. Wenn er aus dem Fenster sehe und Straßenarbeiter beobachte, frage er sich, ob das überhaupt Arbeit sei, was er da auf der Bühne mache, so Bierbichler. Der Schauspieler lässt durchblicken, dass es für seine Eltern nicht leicht gewesen sei, einen schauspielernden Sohn zu haben. Zumal der ewige Querdenker gemeinsam mit Regisseur Herbert Achternbusch in den 1970er Jahren das deutsche Spießertum derart provozierte, dass einige Gäste der väterlichen Gastwirtschaft fernblieben.

Was Regina Schilling in zwei Jahren zusammengetragen hat, erinnert an den Lederhosen tragenden Thomas Bernhard, der im Roman "Holzfällen. Eine Erregung" gerade so über die Wiener Gesellschaft herzieht, wie Bierbichler im Film sein Münchner Umfeld kommentiert. Der Anarchist auf der Bühne gibt sich Regina Schilling gegenüber zugänglich, wirkt ehrlich. Er erzählt Anekdoten, die den Kinobesuch auch für jene lohnend machen, die weniger mit der Theaterszene oder dem Schauspieler vertraut sind. So beschreibt er, wie er eislaufend über dem Starnberger See unterwegs war und seine Notdurft verrichten musste. Weil das Ufer aber zu weit gewesen sei, habe er sich auf das Eis gehockt. Das habe eben in dem Moment, in dem er in die Knie gegangen sei, einen tiefen Riss - direkt unter ihm - bekommen. Der lachende Schauspieler macht so deutlich, was als Metapher für seinen Zweifel am eigenen Lebenswerk steht: "Ich glaube nicht, dass das Kunst war."
André Weikard/Filmreporter.de
Real Fiction
Bierbichler
2024