Jean-François Martin/Ricore Text
Dustin Hoffman
Schmaler Spalt zwischen Spiel und Empathie
Starfeature: Dustin Hoffman im Casino: Seine beste Rollen
Dustin Hoffman steht für das Method Acting. Das Spektrum seines schauspielerischen Könnens ist so breit, wie die Anzahl seiner Filme groß ist. Er spielt in ernsten Filmen und in Komödien. Er spielt Täter wie Opfer. Seine Figuren sind mal engagiert, mal zählen sie dank einer Inselbegabung im Casino die Karten mit, mal dürfen sie nach Herzenslust herumblödeln. Wir haben die wichtigsten Rollen des Ausnahmeschauspielers zusammengetragen.
erschienen am 27. 01. 2023
Concorde Filmverleih
Dustin Hoffman als liebestrunkener Mann
Das Method Acting und seine Ikonen
Es wird nicht mehr viel Aufhebens gemacht um das Method Acting. Das Kino wird vom kommerziellen Kino dominiert. Fantasy-, Sci-Fi- und Action-Franchises verlassen sich einseitig auf am Computer programmiere Spezial Effekte (CGI). Wie auch andere Schauspielmethoden zielt das Method Acting auf eine möglichst natürliche und realistische Darstellung eine Charakters und einer Situation. Hier erreicht der Darsteller das Ziel nicht nur durch Imitation des Vorbildes. Vielmehr wird er mit dem Darzustellenden geradezu eins, verschmilzt er mit dem Charakter, identifiziert er sich vollkommen mit ihm und der Situation. Das geschieht nicht nur intuitiv, sondern wird auch methodisch erreicht, etwa durch Erinnerung an eigene Erfahrungen. Die Schauspieler, die die Methode berühmt gemacht haben, sind längst tot, siehe Marlon Brando, Montgomery Clift oder James Dean. Oder sie werden wie Robert De Niro, Al Pacino und Dustin Hoffman von Hollywood bei großen Produktionen weniger besetzt.
StudioCanal Germany
Die Reifeprüfung (The Graduate, 1967)
Spiel's doch einfach, Dustin
Die britische Schauspiellegende Laurence Olivier, war kein Method Actor. Von ihm ist aber eine Anekdote überliefert, die bezeichnend ist für den Schauspielstil aus Hollywood. Bezeichnend deshalb, weil sie einerseits auf das besondere Handwerk des Method-Actings verweist. Andererseits weil sie eine verborgene unfreiwillig komische Seite des Stils ins Rampenlicht rückt. OIivier spielt 1976 in dem Spionagethriller "Der Marathon-Mann" einen Arzt, der in der Zeit des Nationalsozialismus jüdische KZ-gefangene folterte. Sein sadistisches Handwerk versteht der "weiße Engel" auch 30 Jahre nach dem Untergang des Naziregimes auszuüben. Sein neues Opfer ist ein junger Mann, der sich auf einen Marathonlauf vorbereitet. In der Rolle ist Dustin Hoffman zu sehen.

Beide Schauspieler rufen in dem Klassiker von John Schlesinger das Beste ihres Könnens ab. Olivier spielt den Sadisten bestechend, für seine Leistung wird der große englische Theater- und Filmschauspieler für einen Oscar als bester Nebendarsteller nominiert. Hoffman überzeugt ebenfalls. Allerdings muss er seine hochgelobte Leistung teuer erkaufen. Einem Gerücht zufolge soll der US-Schauspieler, der zuvor sein Können bereits in Filmen wie "Al Pacino Die Reifeprüfung", "Little Big Man" und "Asphalt-Cowboy" unter Beweis gestellt hatte, diesmal an die Grenzen seiner Schauspielmethode geraten sein. Angeblich hat er bei einer besonders abgründigen Szene Schwierigkeiten, sich in eine bestimmte Gemütslage einzufühlen. Als er sich mit dem Problem an seinen erfahrenen Kollegen wendet, soll Olivier ihm den lapidaren Ratschlag gegeben haben: "Mensch, spiel's doch einfach".
20th Century Fox
Blue-Ray-Covermotiv von "Rain Man"
Von der Reifeprüfung bis zur Prüfung in Frauenkleidern
Es sei an dieser Stelle dahin gestellt, ob Olivier den Tipp ernst meinte oder seinen jungen Kollegen entnervt abwiegeln wollte. Auch geht es nicht um die Frage, welche Schauspielpraxis die bessere ist. So lange Schauspieler ihre Ziele erreichen, spielt es kaum eine Rolle, ob sie dorthin den Weg des "einfaches Spielens" oder der methodischen Einfühlen nahmen. Und Hoffman erreichte sein Ziel in zahlreichen heutigen Filmklassikern wie "Der Marathon-Mann". So auch in "Rain Man". In dem 1988 veröffentlichten Drama erreicht Hoffman den Gipfel seines Könnens, einem Musterbeispiel des Method Actings. Er spielt einen Mann, der als Autist gleichsam in sich selbst gefangen ist. Raymond Babbitt hat eine Inselbegabung, ist aber in sozialen Belangen hilflos. Auch sein aalglatter Bruder beißt sich an ihm zunächst die Zähne aus. Welten prallen aufeinander, in einem versöhnlichen Schluss endet die Erzählung aber nicht. Charlie wird durch die Begegnung mit Raymond, dem Rain Man, zu einem besseren – und reichen Menschen. In einem Casino setzt Raymond seine mathematischen Fähigkeiten und sein übernatürliches Gedächtnis beim Blackjack unter Beweis und macht das große Geld. Poker hat er nicht gespielt, auch nicht Texas Holdem. Ändern wird sich für ihn trotzdem nicht viel. Charlie ist nun gut und wohlhabend, er aber wird sich bis zuletzt nicht aus sich befreien können.
SPHE
Kramer gegen Kramer
Seinen großen Durchbruch schafft Hoffman mit Mike Nichols "Die Reifeprüfung". Das ebenfalls längst zu den großen Klassikern der Filmgeschichte gehörende Drama wälzt Mitte der 1960er Jahre nicht nur die US-amerikanische Filmindustrie um und leitet die Epoche des New Hollywood mit ein. Hoffmans Rolle ist die eines Studenten, der den Verführungskünsten einer älteren Frau erliegt - der Mutter seiner Freundin. So bahnbrechend der Film, so bestechend ist die Leistung seines Hauptdarstellers. Hoffman meistert die Gratwanderung zwischen Erotik und Liebe, Trieb und Ekel, Vernunft und Gefühl bravourös.

Auch in "Kramer gegen Kramer" spielt er eine spannende Figur. Die Handlung ist des Dramas ist so einfach, wie seine Erzählung tiefgründig ist. Ehemann (Hoffman) und Ehefrau (Meryl Streep) lieben sich nicht mehr und wollen sich scheiden lassen. Einfach gestaltet sich das Vorhaben jedoch nicht, denn dabei geht es auch um das Schicksal des gemeinsamen Sohns. Wie weit soll und darf man als Elternteil im Kampf um das geliebte Kind gehen? Die Grauzonen einer Ehe wie dem Leben im Allgemeinen durchwandert das Beziehungs- und Gerichtsdrama von Robert Benton mit viel Feingefühl. Dass die Erzählung nicht aus der Balance gerät, verdankt sie auch dem meisterhaften Spiel der Hauptdarsteller.
Sony Pictures
Tootsie
Dustin Hoffman, der Komiker
Dass Hoffman nicht nur ernste und schwergewichtige Rollen meistert, beweist er immer wieder in Komödien. Mehr noch: das Komische steht bei ihm von Anfang an gleichgewichtig neben dem Ernsten. Nicht selten greift das eine in das andere. Das beginnt bereits mit dem Westernklassiker "Little Big Man", findet sich auch in "Die Reifeprüfung" und endet noch lange nicht mit "Tootsie" von Sydney Pollack. Letztgenannter Film bietet mehr als nur die vordergründig komische Geschichte eines Mannes, der sich als Frau verkleidet und dabei so manches Abenteuer erzählt. Es handelt es sich um einen Schauspieler, den existentielle Nöte zu der Maskerade zwingen. Er ist arbeitslos und erhofft, als Frau eine Rolle in einer Fernsehserie zu bekommen. Schon die Prämisse hat Sprengkraft. Der Film entlarvt den Irrsinn des Showgeschäfts und stellt die noch lange nicht beantworteten Fragen nach Geschlechteridentitäten und -rollen.

Rabenschwarz ist das Komische auch in "Wag the Dog: Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt". Auf der Schippe befinden sich diesmal Strukturen der Politik, wie sie noch heute und nicht nur in den USA zu beobachten sind. Sie greifen immer dann, wenn Wahlen anstehen. Dann plötzlich wird manipuliert und abgelenkt, dann werden Einzelne gelenkt und die Masse geformt. Diesem Zweck dient neben den Medien auch ein Mittel, das im Vorfeld von Wahlen besonders gut hilft, der Krieg. Auch in "Wag the Dog" wird so ein Krieg aus dem Hut gezaubert. Die Zauberer sind ein dubioser Wahlberater (Robert De Niro) und ein Filmproduzent (Hoffman). Um dem am Pranger stehenden Präsidenten aus der Patsche zu helfen, erfinden und inszenieren sie einen Krieg. Diesmal soll gegen Albanien zu Felde gezogen werden.

Es darf auch eine Unze leichter sein. Dass Filme nicht notwendigerweise das Gewicht der Welt tragen müssen, sondern auch einfach gut unterhalten dürfen, beweist nicht nur De Niro. Auch Hoffman kann seine Arbeit, seine Kunst und hin und wieder auch sich selbst locker nehmen. Das beweist er auch in Steven Spielbergs Fantasy-Komödie "Hook", in der er genüsslich den Titelschurken spielt. In "Meine Frau, ihre Schwiegereltern und ich" darf er nach Herzenslust mit Ben Stiller, De Niro und Barbra Streisand herumblödeln. Und in "Schräger als Fiktion" spielt er einen Literaturprofessor, der einem Mann bei literarästhetischen Fragen zur Seite steht. Der Hilfe-Suchende ist eine literarische Figur, die die Stimme ihrer Autorin hört. Als der Mann erfährt, dass er einen schönen Roman-Tod sterben soll, ist er alarmiert. Schön schräg und verdreht ist der Film - wie auch die Rollen. Hat Hoffman seinen Charakter nun aber 'einfach nur gespielt' oder sich in die Figur methodisch eingefühlt? Noch einmal: Es spielt keine große Rolle, es zählt das Ergebnis. Und das Ergebnis ist auch hier: Es hat Spaß gemacht, ihm beim Spielen/Einfühlen zuzusehen.
erschienen am 27. Januar 2023
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