Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Ursula Werner genießt den Rummel
Sex nicht nur zum Kinder kriegen
Interview: Ursula Werners Ansichten
Altwerden ist für Ursula Werner kein Problem. Mit uns spricht die 65-jährige Schauspielerin über die Tücken und Vorzüge im hohen Alter. Den Jugendwahn lehnt sie strikt ab. Ins Fitnessstudio gehe sie nur, um ihre Muskeln fit und gesund zu halten. Vielleicht ist dies der Grund, warum sie bei unserem Gespräch so vital und lustig wirkt. Wir sprechen natürlich auch über Andreas Dresens "Wolke Neun". Darin spielt Werner eine in die Jahre gekommen Frau, die sich in einen anderen Mann verliebt und vor einer folgenschweren Entscheidung steht.
erschienen am 31. 08. 2008
Senator
Wolke Neun
Ricore: Ein Gesprächs-Partner meinte einmal, Fotos verraten immer etwas von der Seele, und er gäbe nicht gerne etwas davon her. Wenn er bei einem Termin geschminkt wäre, sei es allerdings kein Problem, Fotos zu machen. Wie sehen Sie das?

Ursula Werner: Ich bin heute etwas aufgetakelt. Ich habe mich schminken lassen. Das mache ich normalerweise nie.

Ricore: Sie schminken sich nicht?

Werner: Gar nicht, nein. Ich gehe auch völlig ungeschminkt aus dem Haus.

Ricore: Das erlebt man selten.

Werner: Meine Haare sind, wie sie der Tag mir gibt. Es hat keinen Sinn, damit lange Zeit zu verschwenden. Heute wurden meine Haare von einer Maskenbildnerin gemacht. Es sieht ein bisschen drahtig aus - das soll auch so bleiben, denn ich muss noch bis heute Abend durchhalten. An und für sich mache ich das nicht. Das ist mir zu wenig lukrativ. Das bringt nicht so viel. Eigentlich finde ich es besser, wie ich aussehe, wie es die Natur mir gegeben hat.

Ricore: Die meisten Frauen wollen immer perfekt sein.

Werner: Ja, das ist auch eine Ansicht. Ich kenne genug Leute, die prima und sympathisch sind - die ich auch sehr mag - und manche davon sagen auch: "Ich komme mir nackt vor, wenn ich mich nicht schminke". Ich würde auch nicht halbnackig auf die Straße gehen. Der Unterschied ist nur, ich fühle mich nicht halbnackig, wenn meine Haare nicht gemacht sind. Wenn es jemand so geht, dann ist es OK.
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Ursula Werner
Ricore: Was halten Sie von dem allseits gegenwärtigen Jugendwahn? Vor allem in Hollywood sehen ältere Frauen aus wie 30 und haben einen super perfekten und straffen Körper.

Werner: Jugend ist etwas Schönes. Aber das Wort Wahn sagt schon alles. Warum soll nur Jugend etwas Wertvolles haben? Älter werden oder Alt sein hat auch etwas sehr Wertvolles. Man hat Erfahrung, die man weitergeben kann, wenn sie gefragt ist. Ich bin in einer sehr glücklichen Position, ich habe eine Menge in meinem Beruf gelernt. Das gebe ich jetzt an Schüler im Schauspielunterricht weiter. Das freut mich sehr. Ich profitiere vom Zusammensein mit der Jugend. Sie können mir ganz viele neue Dinge über die Ansichten in der Welt, ihre Zukunftsträume, -möglichkeiten, oder -probleme sagen. Solche Sachen würde ich sonst nicht mehr erfahren. Ich finde, dass ist eine ganz wunderbare Zweisamkeit zwischen Alt und Jung. Das mag ich sehr. Wenn man älter ist, liegen die Probleme woanders. Jugend ist etwas Schönes, aber man kann sie nicht festhalten. In meiner Familie wurden ältere Leuten immer geschätzt. Eine Oma war eben eine Oma. Es war etwas wunderbares, eine Oma zu haben. Die hatte Falten und sie war anders - interessant anders. Mit Anti-Falten-Creme kann man ja nichts rückgängig machen. Gesund erhalten finde ich in Ordnung. Fitness zum Beispiel. Ich gehe auch in ein Fitnessstudio, wo man an der Haltung und den Muskeln arbeitet - das ist OK. Aber ich finde, dass man sich dadurch nicht jünger machen soll. Man kann sich gesünder erhalten, ohne Leuten vorzeitig auf den Wecker zu gehen.

Ricore: Das ist eine gute Einstellung. Hat die Ihnen bei "Wolke Neun" geholfen? Oder anders gefragt: Haben Sie gezögert, die Rolle anzunehmen?

Werner: Nein, gezögert habe ich gar nicht. Andreas Dresen hat mich angerufen und mir erzählt, was er machen will. Er wollte zuerst einmal wissen, was ich davon halte. Die Produktion musste sehr schnell von statten gehen, denn wir hatten nicht viel Zeit. Es gab nur einen Zeitraum, und in dem musste es gemacht werden. Auf Andreas wartete schon ein anderer Film, "Whisky mit Wodka", daher konnte er nicht lange zögern. Ich hatte 14 Tage Zeit, mir das zu überlegen. Aber ich habe sofort gesagt: "Andreas, das mache ich sehr gerne mit dir". Ich kannte seine Arbeit, seine Sorgfalt. Ich kannte die Stimmung am Drehort und wusste wie er arbeitet. Es war für mich klar, wenn er das wollte, dann ist es gut. Nur er wollte sich noch einmal ein bisschen Klarheit verschaffen und hat gemeint: "So habe ich mir das vorgestellt… und hast du auch mitgekriegt, dass ihr da miteinander ins Bett steigt?" Und ich habe gesagt: "Ja, ich kann mir genau vorstellen, was du damit meinst. Ich mache das mit dir und mit deinem Team. Ich bin überzeugt, dass es gut ist".
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Wolke Neun
Ricore: Sie kannten den Regisseur schon, haben Sie mit den anderen Schauspielern auch schon einmal zusammengearbeitet?

Werner: Meine Partner in diesem Film kannte ich vom Theater.

Ricore: War dadurch bereits eine gewisse Vertrauensbasis gegeben?

Werner: Ja, es war bestimmt schon eine Vertrauensbasis vorhanden. Erst einmal dieses Vertrauensverhältnis zum Andreas, das war ganz wichtig. Hätte ich dieses Angebot von jemandem Anderen bekommen, hätte ich es wahrscheinlich nicht gemacht.

Ricore: Gab es am Anfang Hemmungen - sowohl von Ihrer Seite als auch von den anderen Schauspielern?

Werner: Nein. Das hat nichts mit Schamlosigkeit oder Unverschämtheit zu tun. Sondern unser Handwerk war gebeten - auch in solchen Situationen. Dann muss man eben spielen, so wie man andere Sachen auch spielen muss. Es gibt viele Dinge, die man bei der Erarbeitung von Rollen offenbaren muss, auch dem Regisseur gegenüber. Sich seelisch auszuziehen ist man gewohnt. Das muss man machen in diesem Beruf. Sonst geht vieles einfach nicht.

Ricore: Hatten Sie Mitspracherecht, wenn Sie etwas gar nicht machen wollten?

Werner: Ja, er hat uns viel Freiheit gelassen. Wie wir die Szenen behandeln, wie weit wir in einer Szene gehen, was gesagt wird und welche Worte wir dafür wählen. Das hat er uns überlassen. Wir wussten nur, in der Szene mussten bestimmte Dinge stattfinden. Die Dialoge hat er ganz uns überlassen. Zuerst hat er immer gleich mitgedreht. Das ist seine Arbeitsweise, um wichtige Momente einzufangen, die sich vielleicht nicht wiederholen oder nicht wiederholbar sind. Dann noch einmal drehen, wenn man zu viel geredet hat oder wenn er einen bestimmten Satz unbedingt hören wollte, weil er für die Orientierung der Zuschauer dienlich ist. Aber es war sehr produktiv, er hat uns viel Freiheit und Sicherheit gegeben. Freiheit kann manchmal sehr unsicher machen, weil viel von einem persönlich abhängt. Es liegt auch viel Verantwortung in dieser Freiheit. Er verstand es, uns locker zu machen.
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Regisseur Andreas Dresen
Ricore: Ich empfand den Film als Melodram, und habe ihn nach dem ersten Sehen nicht als erotischen Film definiert. Ärgern Sie Sich, dass der Film - bei dem es um viel mehr geht als um Sex - darauf reduziert wird?

Werner: Ich glaube, man springt sofort auf diese Sex-Szenen, weil sie so außergewöhnlich sind. Wenn sich jemand den Film angucken möchte, sieht er, dass es um ganz andere Dimensionen geht. Das ist der Sache ganz dienlich. Dass es eine Außerordentlichkeit bleibt, das ist Tatsache. Wenn es so ist, ist es mir lieber, als wenn inhaltliche Großartigkeiten im Vordergrund stehen. Nein, eigentlich kränkt es mich nicht.

Ricore: Dennoch ist der Film ein Tabu-Bruch. Sex im hohen Alter ist weder im deutschen und noch weniger im US-Kino zu sehen.

Werner: Der Regisseur ist in erster Linie daran interessiert, Wahrhaftigkeiten zu erzählen. Wenn es Leute provoziert und anregt, darüber anders zu denken oder zu urteilen, dann ist das recht. Dann ist es eben so. Dann bringt das die Wahrheit eben mit sich. Der Film trägt natürlich seine Handschrift. Ich habe mich voller Vertrauen darauf verlassen, was er für richtig, machbar und gut hält. Da ist auch gültig für mich. Man kann ja nicht den Regisseuren ins Handwerk pfuschen. Wenn jemand anfängt zu zicken, wird das nichts. Wir haben nach den Bettszenen auch nicht geguckt, wie wir aussehen, das war kein Thema. Da gab es keine Spiegelkontrolle oder Ähnliches.

Ricore: Glauben Sie, dass das Thema Alter auch im Film öfter zum Tragen kommt? In der Politik und der Gesellschaft ist es schon Thema. Glauben Sie, werden die Regisseure darauf aufmerksam und ist es ein Trend bei Filmemachern?

Werner: Ich denke schon. Vor allen Dingen auf das Älterwerden wird aufmerksam gemacht. Ob es einen starken Aspekt auf Sex gibt, möchte ich bezweifeln und das würde ich mir auch gar nicht wünschen. Das ist nur ein Aspekt, unter dem man das Altwerden betrachten sollte. Aber es gibt auch noch andere Dinge, die das Alter mit sich bringen. Dresen wollte das Thema nicht ausklammern. Sex ist immer so weit weg vom Lebensgeschehen, als wäre es im Alter nicht mehr existent. Das ist dann eine Lüge. Als Künstler kann man so einer Lüge entgegenarbeiten. Ich wünschte mir aber nicht nur Filme, die dieses Thema behandeln.
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Ursula Werner und Horst Rehberg in "Wolke Neun"
Ricore: Es ist der erste Film in dieser Art - ist er etwas Außergewöhnliches?

Werner: Ja, bestimmt.

Ricore: Wie haben ihre Familie, Verwandte und engste Freunde reagiert?

Werner: Sie fanden es alle ganz prima und ein wichtiges Thema. Auch die Frauen im Chor. Ich habe als Inge mitgesungen und habe sie in den Pausen auch befragt. Das haben wir auch gefilmt. Die fanden das aufregend und wichtig. Sie haben sich sehr gefreut, dass es jemanden gibt, der dieses Thema aufgreift. Sie haben alle ihre Erfahrungen in der Beziehung gemacht. Diese Mitschnitte werden dann in einer Bonus-DVD geliefert. Sex im Alter ist nicht aus der Luft gegriffen, sondern es liegt auf der Hand.

Ricore: Dann wird auch endlich mit dem Vorurteil aufgeräumt, ältere Menschen seien prüde.

Werner: Ja, obwohl das gar nicht der Fall ist. Auch bei diesen Frauen habe ich das in keinster Weise erlebt. Das sind zwar auch Frauen, die in der Großstadt Berlin aufgewachsen sind, das ist schon was anderes als im Dorf. Am Dorf gelten andere Richtlinien für das Zusammenleben. Da wird anders damit umgegangen und die Lust wird einem abgesprochen. Junge Leute schlafen ja nicht nur miteinander, weil sie Kinder machen wollen, oft ganz im Gegenteil.

Ricore: Ich habe gehört, auch Ihre Schauspielschüler wären vom Film begeistert?

Werner: Ja, ich habe ihnen von den Dreharbeiten und von Cannes erzählt. Sie waren sehr gespannt. Als es hieß, dass der Film in Cannes gespielt wird, waren sie total aufgeregt. Sie haben mir gratuliert und fanden es wunderbar, obwohl sie den Film noch nicht gesehen hatten. Aber alleine der Fakt, dass ein Film, indem ich mitwirke, nach Cannes kommt, war schon eine Auszeichnung.
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Ursula Werner in "Wolke Neun"
Ricore: Was hat das für Sie persönlich bedeutet - die Einladung und der Preis?

Werner: Ich hatte in Cannes ein großartiges Erlebnis. Wir drehten den Film mit viel Freude, aber Cannes ist dann noch einmal eine ganz andere Kategorie. Als fest stand, dass wir "Wolke Neun" dort anbieten, habe ich gemeint: "Jaja, es schadet ja nicht". Natürlich war ich davon überzeugt, dass es ein guter Film ist. Aber es ist auch Geschmackssache, und das spielt eine Rolle in der Auswahl. Ob das den Anderen auch so gefallen würde, nur weil es uns gefiel, konnte man ja nicht sagen. Da gab es schon viele Enttäuschungen auf dem Gebiet. Die einen sagen: "Wir haben einen wunderbaren Film" und die anderen finden ihn grässlich. Darauf muss man gefasst sein. Als wir dann für die Auszeichnung ausgewählt wurden, war es schon eine Großartigkeit, die wir uns nicht träumen lassen haben.

Ricore: Waren Sie nervös, bevor Sie den Film in Cannes gesehen haben?

Werner: Ich hatte keine Zeit nervös zu werden. Ich war in den Endproben zu "Hamlet". Die haben mich zu dieser Zeit sehr ans Theater gefesselt, ob ich nun wollte oder nicht. Ich bin im letzten Moment nach Cannes geflogen. Um meinen Flug nach Cannes und die Dauer der Reise gab es sehr viele Ärgernisse. Wann kann ich weg, wann muss ich zurück sein? Das hat mich viel mehr gefangen genommen, als die Gedanken: "Du sitzt jetzt im Flugzeug. Du fliegst nach Cannes. Du wirst da sein, wo deine Freunde, deine Verbündeten sind, mit denen du diesen Film gemacht hast. Dort hast du dann erst einmal Ruhe und kannst die Aufregung mit allen teilen". Es war dann aber so knapp, dass es mich überrollte. Ich hatte nicht viel Zeit, mich großartig aufzuregen oder nervös zu sein.

Ricore: Sie haben gerade angedeutet, dass Sie noch am Theater beschäftigt sind. Werden Sie auch weiterhin Filme machen?

Werner: Das weiß ich noch nicht. Ich bin auch im Theatergeschehen, ich spiele auch sehr gerne Theater. Ich muss erst sehen, ob mich das Theater noch haben will. Ich bin ich jetzt auch in einem Alter, indem man aufhört. Vom Gesetzgeber ist es so, dass man dann in Rente geht. Im Film wird man bis ins hohe Alter gebraucht. Aber mein Intendant hat mir einen Vertrag nach dem Eintritt ins Rentenalter angeboten. Ich hab angenommen.

Ricore: Rente als Schauspieler habe ich noch nicht gehört.

Werner: Die Frage ist, ob einen jemand engagiert. Man braucht ja nicht viele alte Leute auf der Bühne. Ich kenne das auch aus meiner Anfängerzeit, dass man selbst ältere Leute mit Jüngeren ersetzt. Nun ist die Frage, wer braucht jetzt einen älteren oder gar einen alten Schauspieler?

Ricore: Ich danke Ihnen für das Interview.
erschienen am 31. August 2008
Zum Thema
Ursula Werner ist eine lebenslustige und fröhliche Frau. Seit 1974 ist sie festes Ensemblemitglied des Andreas Dresens Angebot bekam, die Rolle der Inge in "Wolke Neun" zu übernehmen. Den Regisseur und die anderen Schauspielkollegen kannte sie aus früheren Produktionen, was zu einer Vertrauensbasis bei den Dreharbeiten führte.
Wolke Neun (Kinofilm)
Regisseur Andreas Dresen versteht es, hinter die Fassade scheinbar ganz normaler Menschen zu schauen und dabei erstaunliches zutage zu fördern. In "Wolke Neun" leben die Alten Sex und Leidenschaft hemmungslos aus. Inge (Ursula Werner) ist Mitte 60 und seit über 30 Jahren verheiratet als sie sich in Karl (Horst Westphal) verliebt. Aus schüchternen Blicken wird schnell eine wilde Affäre. So guten Sex hatte Inge ihr ganzes Leben noch nicht! Was ist sie bereit, dafür zu opfern?
2024