Ann-Catherin Karg/Ricore Text
Peter Schamoni
Peter Schamoni über Rebellion und Kunst
Interview: Der Geist aus Kolumbien
Peter Schamoni - der Rebell, der das Oberhausener Manifest 1962 unterschrieb, hat sich zur Ruhe gesetzt. Nicht im wörtlichen Sinne, denn der Dinosaurier des deutschen Kinos will weiter im Geschäft bleiben. In seiner neuen Dokumentation "Botero - Geboren in Medellin" wendet er seinen Blick von experimentellen Künstlern wie Max Ernst und Niki de Saint Phalle ab und fokussiert seine Kamera auf den Meister der naiven Malerei: Fernando Botero. Im Gespräch mit den Filmreportern erzählt der Regisseur über seine langjährige Freundschaft mit dem Künstler und den Prozess des Schaffens.
erschienen am 25. 10. 2008
Concorde Filmverleih
Botero - Born in Medellin
Filmreporter.de: Wie kamen Sie auf die Idee für die Dokumentation?

Peter Schamoni: Ich habe mein Leben lang Filme über Künstler gemacht. Darunter sind Max Ernst, Niki de Saint Phalle, Caspar David Friedrich und so weiter. Ich bin mit Botero seit über 40 Jahren befreundet. Ich wollte den Film schon 1973 drehen, als ich für den Oscar für "Hundertwassers Regentag" nominiert war. Dann ist aber der tragische Unfall mit seinem Sohn Pedrito passiert. Jetzt habe ich seine Abu-Ghraib-Reihe gesehen. Das hat mich schockiert und fasziniert zugleich. Der Film sollte nun diese Bilder in den Kontext seines ganzen Werks stellen. Es hatte keinen Sinn, einen Film nur über die Folter-Bilder zu machen. Ich wollte zeigen, was dieser für mich wunderbare Künstler alles in seinem Leben gemacht hatte.

Filmreporter.de: Wie würden Sie den unverwechselbaren Stil Ihrer Dokumentationen beschreiben?

Schamoni: Ich bemühe mich um keinen lehrhaften oder pädagogischen Film. Ich will einen Film über die Person, über die Aura des Künstlers machen. Authentizität ist ein wichtiges Stichwort. Man muss den Künstler selbst zu Wort kommen lassen, man muss ihn reden und arbeiten sehen, ihn jung und gealtert zeigen. Das war immer so in meinen Filmen und dies habe ich auch hier beibehalten. Ich habe zum Beispiel Max Ernst die letzten 15 Jahre aus seinem Leben verfolgen können. Der Künstler und sein Geist bleiben durch diese Filme lebendig. Das ist das Wunderbare am Medium Film, dass er Menschen, die nicht mehr existieren, am Leben erhält.
Ann-Catherin Karg/Ricore Text
Peter Schamoni und Fernando Botero
Filmreporter.de: Inwieweit hat Sie Ihre Bekanntschaft mit Botero bei den Dreharbeiten beeinflusst?

Schamoni: Ich kenne Botero seit 40 Jahren. Ich habe ihn nie aus den Augen verloren. Ich habe alle seine Ausstellungen gesehen. Das Wunderbare war, dass er in sein Heimatland Kolumbien für die Dreharbeiten zurückkehrte. Dies war für ihn sehr gefährlich. Denn es gab in der Vergangenheit einige Versuche, ihn zu entführen. Ohne ihn zu kennen und zu lieben, ohne sein Werk zu verstehen und zu lieben, wäre dieser Film unmöglich gewesen. So nah ich in diesem Werk Botero gekommen bin, soll einer erstmals versuchen.

Filmreporter.de: Was begeistert Sie an Boteros Persönlichkeit?

Schamoni: Er ist kein Revolutionär, der die ganze Kunstgeschichte wegschiebt und etwas komplett Neues schaffen will. Er ist nicht so wie viele junge Künstler, die einen Haufen Scheiße in die Galerie tun oder ein Paar dreckige Pappkartons an die Wand kleben und meinen, dass sie der Kunst einen großen Dienst erweisen. Botero hat eine unglaubliche Beziehung zur Historie, zu den unwiederbringlichen Schätzen großer Kunst. Man sieht es im Film, er hat jahrelang die großen Künstler kopiert und dabei seinen eigenen Stil entwickelt. Und bei diesem einmal gefundenen Stil der formalen Fülle ist er geblieben. Es sagt, für ihn ist Kunst Deformation. Er hat keine Achtung vor Proportionen. Deswegen ist er auch ein universaler Name. Wenn man sagt: "Schau, da geht ein Mann oder eine Frau und der sieht aus wie Botero!", dann weiß man genau was damit gemeint ist. Es gibt keinen Künstler, der so eine weltweite Breitenwirkung hat wie Botero. Ich würde soweit gehen und sagen, dass es nach Picassos Tod keinen Künstler außer Botero mit ähnlicher Popularität gibt.
Ann-Catherin Karg/Ricore Text
Fernando Botero
Filmreporter.de: Wie hat Botero die Idee für die Dokumentation aufgenommen?

Schamoni: Botero kennt und schätzt meine Filme und war deswegen sehr begeistert, dass ich einen Film über ihn machen will. Er hat mir sofort sein Einverständnis gegeben, so dass ich in den Museen filmen kann. Er dachte erst, es sei ein Fernsehfilm und es wird alles schnell über die Bühne gehen. Aber wir haben ihn wieder und wieder in Paris in sein Atelier besucht. Er ist auch wie gesagt nach Kolumbien geflogen und hat uns seine Heimat erklärt. Insgesamt gibt es drei Museen, denen er seine Werke gestiftet hat. Er hat sowohl eigene Werke, als auch Bilder aus dem Impressionismus und aus der klassischen Moderne gestiftet. Er hat Max Beckmann, Marc Chagall, alles Mögliche gesammelt. Denn Boteros Bilder sind inzwischen so teuer, dass er sich andere Werke davon kaufen kann. Seine Sammlung hat er seinem Heimatland gestiftet. In Kolumbien ist er ein Held.

Filmreporter.de: Botero erzählt, dass die Begegnung mit Paul Gauguins Werken ein Schlüsselerlebnis in seinem Schaffen war. Gibt es einen Künstler, der eine ähnliche Rolle für Sie gespielt hat?

Schamoni: Wer mich in jungen Jahren am meisten beeinflusst, ja geändert hat, war Max Ernst. Ich habe Kunstgeschichte studiert und ihn bei einer Ausstellung im jungen Alter kennen gelernt. Ich war in den letzten 15 Jahren seines Lebens mit ihm befreundet. Er ist 1976 gestorben. Das Interessante ist, dass Botero genau das Gegenteil von ihm ist. Max Ernst hat sein Leben lang experimentiert und immer neue Wege gesucht. Während Botero seinem Stil immer treu geblieben ist und ihn immer wieder variiert hat.

Filmreporter.de: Botero sagt, dass ein Bleistift in der Hand eines Künstlers zum Pinsel wird. Reicht eine Kamera für einen Film aus?

Schamoni: Nein, es gehört vielmehr dazu. Man muss sehr viel überlegen und planen. Viel Geist und Erfahrung muss man auch haben. Sowie ein Künstler einen Bleistift benutzt, um etwas zu schaffen, so kann ein Regisseur mit der Kamera etwas erschaffen. Aber der Bleistift ist ja nicht wichtig, sondern das, was man damit macht.
Peter Schamoni Filmproduktion
Die Kunst des Fernando Botero
Filmreporter.de: Haben Sie wie Botero auch ein Paar Ideen, welche Sie immer begleiten, aber nie umgesetzt haben?

Schamoni: Ich habe drei oder vier Spielfilme und 20 Dokumentationen gemacht, bevor Fassbinder seinen ersten Film gedreht hat. Und ich lebe immer noch. Fassbinder hat im Jahr vier oder fünf Spielfilme gemacht. Ich drehe alle vier Jahre einen, wenn es gut geht. Ich meine, es hat zehn Jahre gedauert, bis ich diesen Botero-Film fertig gestellt ahbe. Das heißt, letztendlich habe ich immer die Filme gemacht, die ich machen wollte.

Filmreporter.de: Gegen welche Tendenzen des modernen Kinos würden Sie jetzt ein Manifest unterschreiben?

Schamoni: Überhaupt nicht. Als wir angefangen haben, Filme zu machen, gab es überhaupt keine Filmhochschule in Deutschland. Wir waren self-made-Leute und haben Learning-by-Doing betrieben. Wie haben die Filme von Luis Buñuel oder Fellini. Wir haben dafür gekämpft, dass es wenigstens eine Filmhochschule in Deutschland gibt. Jetzt gibt es in jeder größeren Stadt mindestens eine. Jedes Jahr wollen Hunderte von Absolventen ihre Filme drehen. Man kann nichts dagegen sagen, finde ich gut. Aber es ist fast eine Schwemme von Filmen. Bei der letzten Berlinale wurden 5.500 Filme gegen die Gebühr von 150 Euro eingereicht. Wenn man das zusammenrechnet, kann man schon ein Festival allein mit diesen Geldern finanzieren. Deswegen bin ich froh, dass ich meinen Film in der Abschlussgala des Münchner Filmfests zeigen konnte. In meinem Alter kriegt man normalerweise Preise fürs Lebenswerk oder Retrospektiven. Und ich bin in der glücklichen Lage, einen neuen Film präsentieren zu können.

Filmreporter.de: Dann denken Sie nicht ans Aufhören?

Schamoni: Mal sehen, was die Zukunft bringt. Noch geht es, noch gehe ich auf zwei Beinen.

Filmreporter.de: Vielen Dank fürs Gespräch!
erschienen am 25. Oktober 2008
Zum Thema
Peter Schamoni stammt aus einer Filmfamilie. Auch seine drei Brüder Thomas, Victor und Ulrich Schamoni waren und sind im Filmbusiness tätig. Schamoni unterzeichnete 1962 das Oberhausener Manifest und vertrat damit den radikalen Bruch mit dem bisherigen deutschen Filmschaffen. Seit jeher interessierte sich der Regisseur und Produzent für bildende Künstler, so schuf er mehrere Dokumentationen unter anderem über Friedensreich Hundertwasser, Niki de Saint Phalle, Caspar David Friedrich und den..
Fernando Botero wird in seiner kolumbianischen Heimat wie ein Nationalheld gefeiert. Es ist aber eine Seltenheit, dass die Massen dem Meister ihre Zuneigung zeigen können. Denn der Künstler lebt nach mehreren Entführungsversuchen im Ausland. Für die Aufnahmen von Peter Schamonis Dokumentation kehrt er in seine Geburtsstadt Medellin zurück und zeigt die wichtigsten Stationen seines bewegten Lebens. Dynamische und vitale Einführung in das Werk des Künstler.
2024