Kinowelt Filmverleih
Jürgen Vogel auf der Party nach der Premiere von "This is Love"
Grenzen überschreiten
Interview: Jürgen Vogel will berühren
Jürgen Vogel schlägt sich Ende der 1980er Jahre in Berlin als Nachwuchsdarsteller ohne Ausbildung durch. Sönke Wortmanns "Kleine Haie" bringen ihn 1992 in die Erfolgsspur. Mittlerweile ist Vogel regelmäßig auf der Kinoleinwand und den Fernsehschirmen zu sehen. In "This is Love" von Matthias Glasner spielt er den skrupellosen Holger, der in Konflikt mit einen vietnamesischen Kinderhändlerring gerät. Mit uns sprach der Schauspieler über seinen Promistatus, systematische Ungerechtigkeit und warum man ihn besser nicht nach Hollywoodplänen befragen sollte.
erschienen am 17. 11. 2009
Constantin Film
Jürgen Vogel versucht ein Experiment in "Die Welle"
Ricore: Woran erinnern Sie sich spontan, wenn Sie an die Dreharbeiten zu "This is Love" zurück denken?

Jürgen Vogel: Das waren ganz besondere Dreharbeiten. Wir haben mit den Dreharbeiten in Vietnam angefangen und ich fand das Land sehr schön, beeindruckend. Das war ein guter Anfang um sich in die Geschichte einzufinden. Ich war vorher noch nie dort.

Ricore: In welchen Eigenschaften ähneln Sie Ihrem Charakter Holger?

Vogel: Ich würde da keine Beziehung herstellen wollen, das ist mir zu langweilig. Jede Figur hat in gewisser Weise etwas mit einem zu tun, sonst würde man sie nicht spielen. Im Theater gibt man seine Persönlichkeit komplett weg und ist nur noch die Figur, das ist beim Film anders. Seit James Dean oder Marlon Brando hat sich das grundlegend verändert und man bringt als Schauspieler mehr die eigene Persönlichkeit in seine Rolle ein. Dadurch wird die Figur innerhalb des Films lebendig.

Ricore: Nach welchen Gesichtspunkten wählen Sie Ihre Rollen?

Vogel: Es gibt keine speziellen Gesichtspunkte, außer dass ich irgendetwas lesen und ich das Bauchgefühl habe, dass ich das spielen möchte. Das Drehbuch muss mich irgendwie anmachen, weil genau das der Grund ist, warum ich den Beruf ausübe, nämlich um anhand der Geschichte und der Figur, Menschen emotional zu berühren.

Ricore: Gibt es Rollen die Sie kategorisch ablehnen?

Vogel: Nein, so etwas gibt es nicht. Das wäre dumm, denn man kann als Schauspieler nicht prinzipiell eine Rolle ablehnen. Es kommt immer darauf an, wie die Rolle geschrieben ist und wer sie in Szene setzt. Zunächst muss man die Geschichte kennen, bevor man solche Entscheidungen trifft. Es kommt vor, dass Kollegen etwas für sich ausschließen und dann fünf Jahre später doch weich werden. Vielleicht ist es bei dem einen oder anderen die berufliche Unerfahrenheit die diesbezüglich ausschlaggebend ist.
Kinowelt Filmverleih
Jürgen Vogel mit seinem schönsten Lächeln
Ricore: Was schätzen Sie an Regisseur Matthias Glasner?

Vogel: Matthias und ich müssen nicht viel miteinander reden, um uns zu verstehen. Das erleichtert die gemeinsame Arbeit. Wir haben eine sehr angenehme Form der Kommunikation gefunden, die im Nonverbalen angesiedelt ist.

Ricore: Ist für Sie mitentscheidend, dass auch Glasner in seinen Arbeiten Grenzen überschreitet?

Vogel: Ich habe sowieso schon immer Figuren gespielt, die Grenzgänger sind. Das hat eine gewisse Tradition bei mir. Oft habe ich mich bei Filmen gelangweilt, wo ich Figuren dargestellt habe, die im Ansatz eine Tiefe haben, welche jedoch aus fehlendem Mut nicht weiter beleuchtet wurde, weil man es dann vielleicht nicht um 20:15 Uhr zeigen kann oder es nicht ins Vorabendfernsehen passt. Man traut dem Publikum oft nicht zu, Dinge zu verstehen, die eventuell ein bisschen weiter gehen. Auf so etwas habe ich keine Lust mehr. Bei meiner Arbeit mit Matthias geht es vor allem darum, einen Teil der Wahrheit zu erzählen und es geht eben nicht darum, Probleme auszuklammern. Spielfilme kommen nicht daran vorbei, Sachverhalte so abzubilden wie sie sich tatsächlich abspielen. Nur weil einem eventuell die Realität nicht gefällt, kann das ja nicht bedeuten, dass man solche Filme nicht machen darf. Manchmal ist es gut Grenzen zu überschreiten, das macht Kino unter anderem für mich aus.

Ricore: Darf man Ihr Engagement in der Sat1-Comedyshow "Schillerstraße" auch als Grenzgang verstehen?

Vogel: Ich wüsste nicht, welche Grenze ich damit überschreite (lacht). Es ist für mich einfach schön mal etwas anderes zu tun, als ich sonst getan habe. Mir ging es um den Spaß. Dort passieren Dinge, auf die man sich im Vorfeld nicht einstellen kann. Improvisation ist Trumpf. Egal was man sich vorher für einen Kopf macht, es nützt nichts, da muss man durch. Ich fand es sehr reizvoll, nach 26 Jahren Schauspielberuf mal etwas anderes zu machen. Ich glaube, das kennt jeder Berufstätige, wenn einem die Möglichkeit gegeben wird etwas Neues auszuprobieren, dann freut man sich darüber.

Ricore: Ist das ein längerfristiges Engagement?

Vogel: Das kann ich im Moment noch nicht sagen, noch macht es Spaß.
Constantin Film
Jürgen Vogel als Lehrer in "Die Welle"
Ricore: Sind Sie ein Schauspieler, der im Umgang leicht zu handhaben ist?

Vogel: Ich glaube schon, aber ich ordne mich in keiner Weise unter. Darum geht es bei dieser Art von Zusammenarbeit sowieso nicht. Man versucht als Schauspieler durch eine Figur, die man darstellt, zu berühren. Man fügt sich einzig dieser Figur. Von produktiven Verbesserungsvorschlägen seitens der Schauspieler können Regisseure zudem oft nur profitieren und sie sind meist auch dankbar dafür. Wenn die Vorschläge total bescheuert sind, hat man natürlich Pech gehabt.

Ricore: Sie sind jemand, der in der Boulevardpresse nicht vorkommt. Ist das Absicht oder sind Sie nicht interessant genug?

Vogel: Das ist extreme Absicht.

Ricore: Genießen Sie Ihren Prominentenstatus?

Vogel: Es ist mir egal. Ich bin froh, dass ich diesen Job habe, weil ich ihn gerne mache. Alles was drumrum läuft, ist mir kackegal. Ich glaube sowieso nicht an diesen ganzen Wirbel, weil man nichts Besonderes ist. Nur weil der Beruf besonders ist, macht einen das nicht zu einem besonderen Menschen. Mir ist das alles wurscht.

Ricore: Was wäre aus Ihnen geworden, wenn es mit der Schauspielerei nicht geklappt hätte?

Vogel: Dafür fehlt mir die Fantasie. Vielleicht alles, was ich gespielt habe, ich könnte mir jedenfalls vieles vorstellen.
Senator Film
Kollege Jürgen Vogel betont die humoristische Seite des Rollenspiels
Ricore: Herkunft entscheidet in Deutschland über Bildungsoptionen. Ihr Vater war Kellner, ihre Mutter Hausfrau. Wurde es Ihnen schwer gemacht?

Vogel: Kann ich nicht bestätigen. Sozialisierung spielt natürlich schon eine große Rolle, das hat aber auch viel mit Umgang zu tun. Die Verghettoisierung von Armut und Andersartigkeit ist systematisch gewollt. Auch ich bin in einer sogenannten Wohnsiedlung groß geworden, deren Bau und Besiedlung politisch motiviert war. Die Brandherde die man dort schafft, sind eine Möglichkeit Dinge zu verändern, die man sonst nicht so einfach ändern kann. Als damals Hoyerswerda brannte, wurden danach prompt die Ausländergesetze geändert. Hätte es nicht gebrannt, wäre nichts passiert. Die Politik reagiert auf so etwas, weswegen ich glaube, dass auch die jetzige Bildungspolitik einem gewissen Interesse folgt. Etwaige Veränderungen diesbezüglich zielen sicherlich nicht darauf ab, den Menschen zu helfen. Politik zu machen, hat viel damit zu tun Angst zu schüren. Ungerechtigkeit hat System.

Ricore: Was werfen Sie der Politik konkret vor?

Vogel: Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer der Bundestagsabgeordneten möchte, dass sich eine große Anzahl von Ausländern in seinem unmittelbaren Umfeld ansiedelt. Politiker wohnen auch nicht in Kreuzberg oder anderen Ballungsgebieten des Ärgers und des Stresses. Eventuell leben dort Mitglieder der Bündnis90/Die Grünen oder von Die Linken, aber auch nur bedingt. Keiner hat Bock in einer Gegend mit hoher Kriminalitätsrate zu leben. Wir haben eine Problematik, die man nicht dadurch löst, dass man selber hinzieht oder Politiker dorthin umsiedelt. Es müsste sich substanziell etwas verändern, vieles ist aber einfach nur scheinheilig.

Ricore: Welche Filme sehen Sie privat?

Vogel: Das ist total unterschiedlich. Ich mag auch Popcorn-Kino und nicht nur Arthaus-Filme. Manchmal ist es toll, ins Kino zu gehen, der Schädel wird einfach angedockt und man bekommt ein großes, ganzes Nichts. Ich wähle nicht nur nach Regisseur aus, sondern gehe nach Lust und Laune ins Kino, so wie jeder andere auch. Alle Genres haben ihre Berechtigung, je breiter gefächert, desto besser.

Ricore: Ist die Filmbranche das berüchtigte Haifischbecken oder bleibt Platz für Freundschaften?

Vogel: Freundschaften gibt es auch. Letztlich ist es nicht anders als in einer Versicherung. Überall wo Menschen vorkommen, sind die Regeln ähnlich. Man sollte das nicht dramatisieren.
Johannes Bonke
Jürgen Vogel
Ricore: Davon ausgehend das München und Berlin die Produktionsschmieden des deutschen Films sind, wo ordnen Sie sich in der deutschen Filmlandschaft ein?

Vogel: Es bleibt alles deutsch für mich, egal wo ich drehe. Ich habe schon in München gedreht und hatte nicht das Gefühl einen Münchner Film gemacht zu haben. Diese Kategorisierung würde ich ungern übernehmen. Wichtig ist, dass wir Filme drehen. Es gibt regionale Unterschiede, welche aber vor allem die Vielschichtigkeit des deutschen Films widerspiegeln. Wenn man die Jahre Revue passieren lässt, muss man feststellen, dass in München der Grundstein für den sogenannten Neuen deutschen Film gelegt wurde, auch durch Sönke Wortmann und zahlreiche Komödien zu Beginn und Mitte der 1990er Jahre. Dann gab es einen Boom und schließlich eine Gegenbewegung, deren Stimme vornehmlich aus Berlin zu hören war. Ich bin überall - ein freier Radikaler.

Ricore: Gibt es unerfüllte Wünsche hinsichtlich Ihres Berufes?

Vogel: Eigentlich nicht. Ich habe schon viel Glück gehabt und tolle Sachen machen können.

Ricore: Hollywood?

Vogel: Das kann ja gar kein Wunsch sein. Das ist Quatsch. Ich hatte nie den Traum von Hollywood. Wenn jemand eine geile Rolle für mich hat, die ich mag, dann kann er kommen und mich fragen ob ich Zeit habe. Alles andere ist total verschenkt. Ich mag die Polen und polnische Filme. Kieslowski fand ich toll und mit dem hätte ich gerne mal gedreht, aber er ist leider gestorben. Hollywood reizt mich nicht. Das ist genau, als wenn ein chinesischer Schauspieler, der nur chinesisch spricht, darüber nachdenkt, in Deutschland Filme zu machen. Man könnte mich auch fragen: Kannst Du Dir vorstellen, lange auf dem Mond zu leben? Absurd.

Ricore: Sie haben das letzte Wort.

Vogel: Peace and make love!

Ricore: Herr Vogel, wir bedanken uns für das Gespräch.
erschienen am 17. November 2009
Zum Thema
Schauspieler und Sänger Jürgen Vogel wird als Sohn eines Kellners und einer Hausfrau in Hamburg geboren. Ohne Schauspiel-Ausbildung debütiert er 16-jährig in "Kinder aus Stein". Sein Durchbruch gelingt ihm mit Sönke Wortmanns "Kleine Haie". Im Interview mit Taxi Driver" und der Schauspielkunst Robert De Niros inspiriert worden zu sein. In Lars Kraumes halbdokumentarischem Musik-Film "Keine Lieder über Liebe" singt er in der eigentlich fiktiven Hansen Band. Die Band tourt zweimal durch..
This is Love (Kinofilm)
Von einem Tag auf den anderen verschwindet der Ehemann (Herbert Knaup) der Berliner Kommissarin Maggie (Corinna Harfouch) von der Bildfläche. Das rätselhafte Verschwinden treibt die Beamtin in den Alkohol. Im Tatverdächtigen Chris (Jens Albinus) erkennt sie einen Schicksalsgenossen, doch seine unheilvolle Geschichte reißt auch alte Wunden auf. Regisseur Matthias Glasner inszeniert ein kraftvolles Drama, das seine Augen vor unangenehmen Fragen nicht verschließt.
2024