Ascot Elite
Rodrigo Cortés am Set von "Buried - Lebend begraben"
Schwarze Komödien & Suspence
Interview: Rodrigo Cortés ist offen
Rodrigo Cortés ist ein spanisches Regietalent. Schon früh fängt der gebürtige Galizier mit dem Filmemachen an. Mit 16 Jahren dreht er seinen ersten Kurzfilm in Super 8. Sein Kurzfilm "15 Tage" wird auf zahlreichen Festivals mit Preisen bedacht. Auch sein erster Spielfilm "The Contestant - Der Kandidat" wird von der Kritik gut aufgenommen. Seinen internationalen Durchbruch hat er mit "Buried - Lebend begraben". Über die schwierigen Dreharbeiten zu diesem klaustrophobischen Thriller, der Arbeit mit Ryan Reynolds und seiner Begeisterung für Alfred Hitchcock sprach Cortés mit Filmreporter.de.
erschienen am 22. 11. 2010
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Rodrigo Cortés am Set von "Buried - Lebend begraben"
Ricore: Herr Cortés, viele befürchteten, dass das Drehbuch unverfilmbar sei. War das auch Ihr Eindruck, als Sie es zum ersten Mal lasen?

Rodrigo Cortés: Nein, ganz im Gegenteil. Bevor ich es gelesen habe, stellte ich zunächst die Frage, worum es eigentlich geht. Sie sagten mir, dass es von einem Mann handele, der den ganzen Film über in einem Sarg gefangen sei. Ich sagte, dass ich interessiert sei. Für mich war die Idee närrisch genug. Ich betrachtete die Aufgabe als Herausforderung. Es gibt keinen besseren Grund, um etwas zu tun. Es bot sich mir die Gelegenheit, etwas zu tun, das noch niemand jemals zuvor gemacht hat. Das war aufregend aber auch Angst einflößend. Wie bei Höhenangst - wenn man nicht in den Abgrund schaut, fühlt man sich sicher.

Ricore: Sie haben vorher vor allem Komödien gemacht. Hatten Sie Zweifel, ob das Konzept in Ihr Werk passen könnte?

Cortés: Nein, denn ich machte eine bestimmte Art von Komödien. Sie sind sehr schwarz und kommen eher wie ein Bankraub daher. Meine Vorbilder sind ja auch Martin Scorsese und Alfred Hitchcock. Die Herausforderung habe ich eher darin gesehen, den richtigen Stil zu finden, um beim Zuschauer Emotionen zu provozieren.

Ricore: Sie haben Ihre Drehbücher bisher selbst geschrieben. "Buried" wurde von einem anderen Autor verfasst. Empfanden Sie es schwierig, sich an ein fremdes Drehbuch anzupassen?

Cortés: Nein, im Film geht es vor allem darum, Emotionen zu erzeugen und da ist es irrelevant, ob das Drehbuch vom Regisseur selbst geschrieben wurde oder von jemand anders. Aber es gibt einen Unterschied in der Reaktion auf das Material. Wenn man seinen eigenen Stoff inszeniert, ist der gesamte Entstehungsprozess eines Films organischer. Die Idee entwickelt sich allmählich. Wenn man ein fremdes Drehbuch verfilmt, kann es vorkommen, dass man sehr stark auf das Ergebnis reagiert. Ich hatte nie gedacht, dass ich mal ein fremdes Drehbuch verfilmen würde. Aber als ich dieses Buch las, hat mein Körper entschieden. Es ist ein großartiges Skript.

Ricore: Was war ihre Strategie, um aus der simplen Ausgangsidee der Gefangenschaft eines Mannes in einem Sarg einen reichen und facettenreichen Thriller zu machen? Denn so etwas kann leicht eintönig werden.

Cortés: Die erste Regel war, nicht mit zu viel Vernunft an die Sache heranzugehen. Wenn man mit zu viel Logik und Verstand arbeitet, kann das leicht schief gehen. Aus diesem Grund habe ich beim Filmen einfach nicht an den Sarg gedacht. Ich dachte, wenn ich mich auf den Sarg konzentriere, denke ich automatisch an Einschränkungen und an das, was ich nicht machen darf. Ich musste mich frei fühlen und tun, was immer ich tun wollte. Also habe ich mich einfach nur auf die Geschichte konzentriert. Aus dieser Haltung heraus wollte ich vor allem beim Zuschauer Gefühle wecken. Dann erst machte ich mir Gedanken über die filmischen Mittel. Auch hier durfte ich von keinen Einschränkungen gebremst werden, alles sollte möglich sein. Die Kamera sollte sehr flexibel sein, sie sollte die Figur ständig umkreisen, die Gewalttätigkeit und die Energie der Situation beschwören. Danach überlegte ich, wie man die Idee in einem kleinen Sarg umsetzen kann. Wir haben insgesamt sieben unterschiedliche Särge gebaut, damit noch so ausgefeilte Kamera-Perspektiven und -bewegungen gewährleistet werden konnten.
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Buried - Lebend begraben
Ricore: Die Särge hatten also unterschiedliche Größen?

Cortés: Nein, sie hatten alle die gleiche Größe. Die Anzahl der Särge waren durch das jeweilige Kameraobjektiv und die Position des Schauspielers bedingt. Die Position der Figur im Sarg diktierte die filmische Umsetzung. Das erste, was man von Hitchcock lernt ist, dass die reale Zeit und der reale Raum nebensächlich sind, was zählt ist die filmische Zeit und der filmische Raum, mit denen man flexibel umgehen kann.

Ricore: Sie haben den Film in chronologischer Reihenfolge gedreht, was eigentlich unüblich ist. Warum?

Cortés: Das stimmt, normalerweise kann man es sich im Film nicht leisten, den Film so zu inszenieren, wie er am Ende auf der Leinwand erscheint. In unserem Fall konnten wir uns das leisten, weil der Film zum einen an einem einzigen Ort spielt. Zum anderen sollte die zeitliche Einheit gewährleistet werden. Die Kamera war immer auf einen Schauspieler gerichtet, es gab keine anderen, auf den man hätte schneiden können. Die Kontinuität seiner Position im Sarg durfte nicht beeinträchtigt werden, weil es die Zuschauer sonst bemerkt hätten. Es sollte wie eine perfekte Choreografie sein.

Ricore: Es ist unmöglich, über "Buried" zu sprechen, ohne Ryan Reynolds zu erwähnen. Wie hat er die Dreharbeiten erlebt? Es war sicher nicht ganz einfach für ihn.

Cortés: Ja, es war sehr anstrengend für ihn. Aber er hat alles gegeben. Er wusste nicht wie physisch der Film sein wird. Nach dem ersten Drehtag war er überwältigt. Er sagte nur: Oh, mein Gott, so wird die Arbeit also sein? Am liebsten hätte er den Film an einem Tag in seiner Wohnung gedreht. Aber dann sagte er zu mir, ich könnte jeden Teil seines Körpers filmen, von seinen Fingernägeln bis zu den Haaren. Ich bräuchte keine Rücksicht auf ihn zu nehmen und wenn mir irgendwas nicht gefiele, sollte ich es ihm sagen. Er war bereit, seinen letzten Tropfen für den Film zu opfern. Das habe ich dann wörtlich genommen, womit er wiederum nicht gerechnet hat. Das war aber nur der physische Aspekt, die emotionale Anstrengung war noch schlimmer. Er erlebte Gefühle, die man sonst in seinem ganzen Leben nicht erlebt.

Ricore: Seine Leistung ist beeindruckend.

Cortés: Ja, er ist fantastisch. Ryan ist wie eine Stradivari. Er kann dein Herz brechen, weil er eine Situation nicht spielt, sondern sie wirklich erlebt. Er ist kein Lügner. Er kann alles tun. Es war sehr unkompliziert, mit ihm zu arbeiten. Man gab ihm kurze Anweisungen, die er dann problemlos umsetzte. Es war erstaunlich.
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Ryan Reynolds in "Buried - Lebend begraben"
Ricore: Reynolds ist nicht bekannt für dramatische Rollen. Er hat überwiegend Komödien gemacht. Hatten Sie Skepsis, dass er nicht in die Rolle passt?

Cortés: Nein, niemals. Eigentlich hat Ryan schon einige dramatische Rollen gespielt. Es waren nicht immer sehr gute Filme. Trotzdem hat er immer wieder unter Beweis stellen können, dass er große Gefühle mit den kleinsten Mitteln darstellen kann. Ich war also nie skeptisch. Ganz im Gegenteil, er war meine Option. Ich brauchte eine Stradivari und er war eine.

Ricore: Wie alle Thriller bzw. Horrorfilme spricht auch "Buried" die elementarsten Ängste des Zuschauers an. Es gibt kaum Schlimmeres, als lebend begraben zu werden.

Cortés: Ja, das stimmt. Man muss nicht an Klaustrophobie leiden, um sich davor zu fürchten. Es gibt nichts Schlimmeres, als in einem engen Sarg lebend begraben zu sein. Es ist eine sehr elementare Angst. Das gibt dem Film seine Gültigkeit. Es braucht nicht viel, um diese Angst verständlich zu machen. Man hat einen Menschen und einen unendlichen Alptraum, mehr nicht. Die pure Angst.

Ricore: Funktioniert der Film einzig über dieses elementare Angstgefühl oder gibt es noch andere Aspekte, durch die er besonders wirkt?

Cortés: Nein, dieses Angstgefühl würde höchstens auf einige wenige Menschen anziehend wirken. Die meisten würden sich dem Film gegenüber gerade wegen dieses Gefühls ablehnend verhalten. Sie würden es als zu viel empfinden. "Buried" funktioniert nicht nur über die Klaustrophobie. Es ist vielmehr ein Film im Sinne Hitchcocks. Es ist ein Suspense-Film. Außerdem ist es ein Film, der eine 90-minütige Verfolgungsjagd ist, so paradox das vielleicht klingen mag. Das ist es, was "Buried" ausmacht. Die Zuschauer erleben ihn mit ihrem Körper und wenn sie aus dem Kino kommen, sind sie zwei Kilo leichter. "Buried" ist somit "Der unsichtbare Dritte" in einer Kiste.

Ricore: Obwohl "Buried" ausschließlich in einem Sarg spielt, gibt es viele Bezüge zur Außenwelt. Nicht nur hat die Hauptfigur über sein Mobiltelefon Kontakt zu seinen Mitmenschen. Sie nehmen auch kritisch Stellung zu politischen und gesellschaftlichen Situationen. Zum Beispiel spielt der Irak-Krieg hinein oder der Missbrauch des Individuums durch ökonomisches Profitdenken, usw. Wie wichtig sind diese Bezüge oder sind Sie ganz im Sinne Hitchcocks reine MacGuffins?

Cortés: Man kann diese Bezüge tatsächlich auch als MacGuffins betrachten. Der Film hätte nicht unbedingt im Irak spielen müssen, er hätte in jedem anderem Land der Welt funktioniert. Trotzdem ist der Irak ein realer Hintergrund und man sollte das Thema ernst nehmen. Es ist ein organischer Teil der Handlung, andernfalls wäre der Film nicht glaubwürdig. Wahr ist aber auch, dass ich mich nicht primär für das Politische interessiere. Aus diesem Grund sind diese Bezüge recht klein gehalten. Das Politische ist nicht dauerhaft, weil sich die Geschichte ändert. Trotzdem spielen sie eine Rolle im Film. Der wahre Feind von Paul Conroy ist nicht der Sand, der in den Sarg rieselt, nicht die Dunkelheit oder der Mangel an Sauerstoff. Es ist unsere Realität, die Bürokratie und der Kleingeist des Menschen, die eine Bedrohung für ihn darstellen. Das ist auch ein Grund, wieso der Zuschauer so viel Anteilnahme für die Figur empfindet. Es wird ein bürokratischer Alptraum geschildert. Der Mann kämpft im Sarg um sein Leben, doch er muss sich durch die Mühlen der Bürokratie kämpfen und findet doch keine Hilfe, weil seine Gegenüber nur an ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Diese Aussichtslosigkeit macht die Situation von Paul so frustrierend. Man kann gegen alles ankämpfen, nur nicht gegen die Dummheit des Menschen.
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Ryan Reynolds in "Buried - Lebend begraben"
Ricore: Während dieses Interviews sind Sie bereits mehrmals auf Hitchcock zu sprechen gekommen. Was haben Sie von ihm gelernt und was finden Sie an seinem Werk so faszinierend?

Cortés: Das Wichtigste, das ich aus seinen Filmen gezogen habe, ist vor allem, sich keine Sorgen über den wirklichen Raum und die wirkliche Zeit zu machen. Worauf es ankommt, ist die filmische Zeit und der filmische Raum. Diese können flexibel gehandhabt werden, sie können gedehnt als auch verkürzt werden. Es geht also nicht primär um die Realität, als vielmehr um die filmische Realität, darum, was man auf der Leinwand erschafft. Das Kino hat seine eigenen Regeln und diese stimmen nicht unbedingt mit der Realität überein. Die andere große Lektion, die man bei Hitchcock lernen kann, ist fast schon ethischer Natur. Es ist die Art und Weise, wie man mit der Perspektive umgeht. Eine bestimmte Einstellung bedeutet eine Sache, eine andere etwas anderes. Die eine kann subjektiv sein, die andere objektiv. Hitchcock zeigt, dass diese Unterscheidung von großer Bedeutung ist. Die Tatsache, dass eine Einstellung subjektiv oder objektiv ist, erzeugt unterschiedliche Eindrücke und Stimmungen beim Betrachter.

Ricore: Sie haben sehr früh mit dem Filmemachen angefangen. Sie waren erst 16, als Sie Ihren ersten Kurzfilm gemacht haben. Wie hat ihre Filmbegeisterung angefangen? Gab es einen zündenden Augenblick oder war es ein Prozess?

Cortés: Als Kind habe ich immer sehr stark auf Filme reagiert. Ich weiß nicht, wieso. Ich glaube, der erste Film, den ich je gesehen habe, war ein Tarzan-Film. Welcher Teil das gewesen ist, weiß ich heute nicht mehr. Irgendwann habe ich "King Kong" gesehen. Natürlich habe ich nicht schon als Kind davon geträumt, Filmemacher zu werden. Es war sicher nicht so, wie sich die meisten Kinder wünschen, Astronaut zu werden. Doch nach und nach wurde mir klar, dass ich nicht mehr nur Zuschauer sein möchte, sondern selber Filme machen will. Andere Möglichkeiten hatte ich nie in Betracht gezogen. Es sah lange Zeit unwahrscheinlich aus, dass dieser Wunsch in die Tat umgesetzt werden könnte, doch irgendwann wurde es irgendwie möglich. Wenn man also irgendwas machen will, das unmöglich umzusetzen ist, sollte man auf keinen Fall andere Möglichkeiten in Erwägung ziehen. Man kann sein Ziel nur erreichen, wenn man alles gibt.

Ricore: Werden wir Sie demnächst in Hollywood sehen?

Cortés: Sie meinen, wann ich in der Stadt sein werde? (lacht)

Ricore: Sie wissen, was ich meine.

Cortés: Ich weiß es nicht. Es geht niemals um das Wo, sondern um das Was und das Wie. Solange ich machen kann, was ich machen will und die kreative Kontrolle über meine Filme habe, würde ich überall auf der Welt Filme machen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 22. November 2010
Zum Thema
1973 im spanischen Payos Hermos geboren, entwickelt Rodrigo Cortés Giráldez früh eine Leidenschaft fürs Kino. Mit 16 dreht er seinen ersten Kurzfilm in Super 8. Seine Kurzfilme "Yul" (1998) und "15 Tage" (2000) werden auf zahlreichen Festivals mit Preisen ausgezeichnet. Auch sein Kinodebüt "The Contestant - Der Kandidat" (2007) wird von der Kritik gelobt. Seinen internationalen Durchbruch schafft er mit dem klaustrophobisch-beklemmenden Thriller "Buried - Lebend begraben" im Jahr 2010.
"Buried - Lebend begraben" erzählt die Geschichte eines amerikanischen Lastwagenfahrers (Ryan Reynolds), der lebend begraben in einem Sarg aufwacht. Mittels eines von seinen Entführern zurückgelassenen Handys versucht er, der misslichen Lage zu entkommen. Der spanische Regisseur Rodrigo Cortés inszeniert einen Thriller, der bis zum Schluss spannend bleibt. Auch darstellerisch bewegt sich der Film auf hohem Niveau.
2024