Ruut
Tambet Tuisk in "Detsembrikuumusl"
Wanderer zwischen den Welten
Interview: Tambet Tuisk zu "Poll"
Hierzulande noch unbekannt, gehört Tambet Tuisk in seiner estnischen Heimat zu den bekanntesten Film- und Theater-Darstellern. International machte er 2008 mit "Mina olin siin" erstmals von sich reden. Nun testet der 1976 geborene Mime mit der Hauptrolle in Chris Kraus' Historienfilm "Poll" eine internationale Karriere an. Im Interview mit Filmreporter.de sprach Tuisk über seinen Part in dieser internationalen Produktion sowie über die Film- und Theaterlandschaft Estlands.
erschienen am 2. 02. 2011
Piffl Medien
Poll
Ricore: Herr Tuisk, zahlen deutsche Film-Produzenten besser als die estnischen?

Tambet Tuisk: (lacht). Dieses Projekt ist jedenfalls größer als jede andere estnische Produktion, an der ich beteiligt war. "Poll" ist außerdem meine erste internationale Produktion. Ich habe zwar schon mal mit französischen Kollegen zusammengearbeitet, doch die Dreharbeiten fanden jeweils in Estland statt. Außerdem habe ich mal als Schauspieler und Regie-Assistent in einem englischen Kurzfilm mitgewirkt. Ich bin stolz, Teil einer Produktion dieser Größenordnung zu sein.

Ricore: Haben Sie in "Poll" auf Deutsch oder Estnisch gesprochen.

Tuisk: Ich sprach deutsch, weil ich mit deutschen Kollegen zusammengearbeitet habe.

Ricore: Sie werden nicht synchronisiert, weil ihre Figur ebenfalls Este ist, oder?

Tuisk: Das stimmt. Mein Deutsch klingt hier und da ein wenig schief, aber das verlangte ja das Drehbuch auch.

Ricore: Wie würden Sie Ihren Charakter beschreiben?

Tuisk: Es handelt sich um einen Esten, der für die Freiheit seiner Heimat kämpft. Damit stellt er sich gegen den russischen Zar, zu dessen Herrschaftsgebiet Estland gehörte. Als Schnaps - so der Name meiner Figur - Oda kennenlernt, kommt eine weitere Komponente hinzu. Beide verlieben sich ineinander und Schnaps übt einen großen Einfluss auf Odas Kreativität aus, die später Schriftstellerin wird. Schnaps kennt sich mit der deutschen Kultur aus, hat die deutschen Dichter gelesen und das verbindet ihn mit Oda.
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Tambet Tuisk in "Poll"
Ricore: Wird an estnischen Schulen heute noch Deutsch unterrichtet?

Tuisk: Ja, es werden Deutsch, Englisch und Französisch gelehrt. Neuerdings wird auch wieder Russisch unterrichtet.

Ricore: Können Sie ein bisschen Deutsch sprechen?

Tuisk: Ja, einiges habe ich gelernt: (spricht auf Deutsch) Ein Cappuccino bitte. Gesundheit (lacht).

Ricore: Sie sind nicht nur Filmschauspieler, sondern stehen in Estland auch oft auf der Bühne.

Tuisk: Ja, das stimmt. In Estland werden so wenige Filme hergestellt, dass man als Film-Schauspieler nicht über die Runden kommt. Deswegen muss man auch viel Theater spielen. Weil man hier längerfristige Verträge abschließt, sind die Bühnen auch eine finanzielle Absicherung für die Darsteller.

Ricore: Theater ist in Estland sehr populär, oder?

Tuisk: Ja, es ist hier sehr beliebt. Sie sind oft ausverkauft. Wir pflegen auch Partnerschaften mit deutschen Bühnen. Es gibt viele deutsche Theater-Regisseure, die in Estland arbeiten. Zum Beispiel Sebastian Hartmann, der hier Andrej Andrej Tarkowskijs "Stalker" für die Bühne adaptierte.
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Tambet Tuisk in "Poll"
Ricore: Deutsche Theater-Schauspieler haben es oft schwer, sich vom Theater zu lösen und im Film Fuß zu fassen, weil die Regisseure sie nicht gehen lassen wollen. Sehen Sie in diesem Punkt Probleme auf sich zukommen?

Tuisk: Tatsächlich ist man als Theater-Schauspieler auch hier an die Bühne gebunden. Man muss eine bestimmte Anzahl von Auftritten im Jahr absolvieren. Im Fall von "Poll" gab es diesbezüglich keine Probleme. Ich hatte genug Zeit für die Arbeit an diesem Film. Aber das ist tatsächlich ein Problem. Bei meinem letzten Film mussten wir nachts arbeiten - nach den Theatervorstellungen. Das ist zwar verrückt, aber für viele Schauspieler nun mal die einzige Möglichkeit, in einem Film mitzuspielen. Andererseits hat diese Verbindlichkeit auch den Vorteil, dass der Schauspieler nach einer Filmproduktion wieder vom Theater vertraglich aufgefangen wird.

Ricore: Glauben Sie, dass die Rolle in "Poll" Ihren internationalen Durchbruch markieren wird?

Tuisk: Wenn man an einem Projekt arbeitet, dann denkt man nur an die Arbeit und die Rolle. Alles andere blendet man aus. Was danach kommen könnte, daran denkt man nicht.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 2. Februar 2011
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Tambet Tuisk gehört in seiner estnischen Heimat zu den populärsten Film- und Theatermimen seiner Generation. Internationale Aufmerksamkeit erregte der 1976 geborene Schauspieler 2008 mit dem Drama "Mina olin siin". In Chris Kraus Historienfilm "Poll" kann der Este 2010 seine internationale Karriere fortsetzen. Tuisk spielt in dem im Vorfeld des Ersten Weltkrieges angesiedelten Drama einen estnischen Anarchisten, der in die Mühlen der großen Politik sich in ein junges Mädchen verliebt.
Poll (Kinofilm)
Im Juni des Jahres 1914 reist die 14-Jährige Oda (Paula Beer) mit dem Sarg ihrer Mutter zu Vater Ebbo (Edgar Selge) und dessen neuer Familie ins Baltikum. Ihr einziger Freund ist ein estnischer Anarchist, den sie schwer verwundet in einer Scheune findet. Sie versteckt ihn in Vaters Labor und nennt den Unbekannten 'Schnaps'. Allmählich entwickelt Oda Gefühle für den Fremden. Um sie herum steht alles vor dem Niedergang. Die familiären Beziehungen drohen zu zerbrechen und der Krieg rückt immer..
2024