20th Century Fox
Ben Stiller wird am Chinese Theater mit einem Stern auf dem Walk of Fame ausgezeichnet "Das erstaunliche Leben des Walter Mitty"
Jeder lebt im falschen Leben
Interview: Ben Stillers Träume
Für die Verfilmung von James Thurbers Kurzgeschichte "Walter Mittys Geheimleben" nimmt Ben Stiller zum ersten Mal seit "Tropic Thunder" wieder auf dem Regiestuhl Platz. Der 48-Jährige spielt in "Das erstaunliche Leben des Walter Mitty" zudem die Titelrolle des sensiblen Mannes, der sich aus seinem unerfüllten Alltagsleben in eine Fantasiewelt wegträumt. Für Stiller soll die Herangehensweise an den Stoff eine besondere Herausforderung gewesen sein, da es bereits eine gelungene Verfilmung der klassischen Vorlage gibt. Filmreporter.de sprach mit dem Filmemacher zudem über die Dreharbeiten in Island und an der Nordsee, sein Idol John Lennon und die Wünsche, die er sich noch erfüllen will.
erschienen am 4. 01. 2014
20th Century Fox
Ben Stiller darf in "Das erstaunliche Leben des Walter Mitty" seine Träume verwirklichen
"Der Kerl ist eigentlich in Ordnung"
Ricore Text: Mr. Stiller, worum geht es in der Geschichte über Walter Mitty?

Ben Stiller: Walters Aufgabe für das LIFE-Magazin besteht darin, Foto-Negative zu kategorisieren. Die Arbeit ist ihm sehr wichtig und er legt eine große Sorgfalt an den Tag. Er wird mit den Bildern von Sean O'Connell (Sean Penn) anvertraut, dem berühmtesten Fotograf der Zeitung. Als die LIFE vor dem Konkurs steht, soll eines von Seans Fotos das Cover der letzten Ausgabe zieren. Auf Walters Arbeit gibt es mit Cheryl (Kristen Wiig) eine Kollegin, die er sehr mag, aber sich nicht traut, sie anzusprechen. Von hier aus beginnt seine Reise.

Ricore: Was für ein Mensch ist Walter?

Stiller: Der Kerl ist eigentlich in Ordnung. Er lebt nur nicht das Leben, das er sich immer ausgemalt hat. Damit hat er sich vor langer Zeit arrangiert. Als er aber Cheryl kennenlernt, öffnen sich ihm die Augen. Außerdem steht er kurz davor, seine Arbeit zu verlieren. All das führt dazu, dass er sich entscheidet, einen dramatischen Schritt zu wagen und die Möglichkeit am Schopf zu packen. Gleichzeitig muss er sich um seine Mutter und seine Schwester kümmern. Seit dem Tod seines Vaters hat er die Verantwortung für den Haushalt übernommen. Als er jung war, hatte er viele Ideen, was er mit seinem Leben anfangen will. Letztlich begibt er sich auf eine Reise, die er bereits vor Jahren hätte antreten sollen.

Ricore: Die dem Film zugrundeliegende Geschichte von James Thurber wurde schon einmal verfilmt. Inwiefern unterscheidet sich Ihre Version von der aus dem Jahr 1947 mit Danny Kaye in der Hauptrolle?

Stiller: Ich dachte, es würde sehr schwierig werden, ein Remake des Danny-Kaye-Films zu realisieren, weil der Film so gut gemacht ist. Es war eine Musical-Komödie, die in einer Ära entstand, als die Filme besser waren denn je. Der Drehbuchautor unserer Version, Steve Conrad, hatte eine andere Sicht auf den Stoff. Sie passte mehr zu mir und ist hoffentlich auf das moderne Kino-Publikum zugeschnitten. "Das erstaunliche Leben des Walter Mitty" handelt nicht nur von einem Mann, der verrückte Tagträume hat. Walter will vielmehr in Kontakt mit sich selbst aufnehmen. Ich mochte die Idee von einem Mann, der in die Welt hinausgeht, um eine Änderung zu bewirken.

Ricore: Wie kamen Sie auf die Idee, Sean Penn mit der Rolle des Fotografen zu besetzen?

Stiller: Sean Penn ist als Mensch sehr integer. Das war das wichtigste Kriterium beim Casting. Es ging darum, aus den Figuren echte Menschen zu machen. Sean O'Connell hat etwas Mythisches an sich. Walter hat diesen Mann immer verehrt. Der Film handelt davon, wie sich er seinem Idol endlich begegnet. Wenn dieses Treffen stattfindet, sollte der Zuschauer nicht enttäuscht sein.

Ricore: Im Film gibt es viele kulturelle Anspielungen. Das LIFE-Magazin hat etwa berühmte Menschen wie John Lennon auf dem Cover abgebildet. Was bedeuten Ihnen diese Persönlichkeiten?

Stiller: Die Life-Coverbilder erzählen eine Geschichte und stehen unmittelbar in Beziehung zu Walters Charakter. Es gibt Fotos einer startenden Rakete und einer große Welle. Dann gibt es das Bild von Charlton Heston, der die Zehn Gebote hält. Darüber hinaus gibt es weitere große historische Momente und Helden, mit denen ich mich verbunden fühle wie zum Beispiel Martin Luther King und John Lennon. Das sind Menschen, die so mutig waren, ihr Ding durchzuziehen.
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Ben Stiller ist als Walter Mitty ein Träumer
Ben Stiller: "Ich hatte großes Glück"
Ricore: Inwiefern spricht Thurbers Geschichte den heutigen Menschen noch an?

Stiller: Die Sprache der Geschichte ist sehr schön und es gibt einen melancholischen Unterton. Diesen Ton wollte ich auch im Film hinkriegen. Dahinter steckt die Idee, dass in allen von uns etwas steckt, von dem niemand etwas weiß. Im Innern sind wir alle verkannte Helden. Walter sieht sehr viel, aber er selbst wird nicht wahrgenommen. Das fand ich als Motiv sehr stark.

Ricore: Sie scheinen sich mit Walter Mitty zu identifizieren. Andererseits sind Sie erfolgreich als er.

Stiller: Ich hatte großes Glück und ich bin für alles dankbar, was mir in meinem Leben geschenkt wurde. Auch in kreativer Hinsicht bin ich glücklich über jede Möglichkeit, die sich mir geboten hat. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass jeder Mensch in seinem Kopf ein anderes Leben lebt als in Wirklichkeit. Wie oft gibt es im Leben nicht die Situation, dass man sagt: 'Hätte ich doch das gesagt oder hätte ich doch das getan'. Jeder von uns hat schon mal diese Erfahrung gemacht - unabhängig davon, wie erfolgreich er nach Außen hin scheint. Auch ich habe in kreativer Hinsicht noch so viele Wünsche, die ich umsetzen möchte. Insofern habe ich durchaus einen persönlichen Bezug zu Walter Mitty.

Ricore: Sie haben in Ihrer Karriere schon viel erreicht. Welchen Wunsch möchten Sie sich noch erfüllen?

Stiller: Ich möchte noch viele Filme drehen und hoffe, ich bekomme die Chance dazu. Ich möchte Filme machen, die sich außerhalb meiner Komfortzone befinden. Ich habe das Gefühl, dass ich nicht genug Jahre vor mir habe, um alles zu erkunden, was ich erkunden will. Ich möchte einfach weiterarbeiten und als Regisseur immer besser werden.

Ricore: Inwiefern wären Sie als Mensch gerne anders?

Stiller: Ich wünschte, ich wäre manchmal lockerer. Gestern erst sagte meine Frau zu mir, ich solle mich entspannen und das Leben mehr genießen. Ich weiß nicht, ob diese Angespanntheit in meiner DNA verankert ist, ich betrachte sie aber als Herausforderung.

Ricore: In "Das erstaunliche Leben des Walter Mitty" geht es auch darum, dass man im Hier und Jetzt leben sollte. Ist das auch Ihre Ansicht?

Stiller: Ja, das ist es. Ich betrachte es als die größte Herausforderung im Leben. Zunächst einmal sollte man sich dieses Problems überhaupt bewusst werden. Viele von uns gehen durch das Leben und wissen nicht einmal, dass sie nicht im Hier und Jetzt leben. Darum geht es im Buddhismus. Der Grund, wieso Menschen Musik hören oder auf Konzerte gehen, liegt darin, dass sie diese Erfahrung machen wollen. Musik verankert den Menschen in der Gegenwart.
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Ben Stiller am Set von "Das erstaunliche Leben des Walter Mitty"
"Es war tatsächlich beängstigend"
Ricore: Haben auch Filme dieses Potential?

Stiller: Bei einem Film projiziert man sich vielmehr in eine andre Welt. Man identifiziert sich mit den Geschichten über andere Menschen. Zumindest ist das meine Erfahrung. Ich fühle eine emotionale Verbindung zwischen mir und dem, was auf der Leinwand passiert. Dabei erlaube ich mir auch, wie die Person zu fühlen, in dessen Geschichte ich mich versenke. Ich denke, aus diesem Grund gehen Menschen ins Kino.

Ricore: Hatten Sie das Gefühl, dass Sie mit der Verfilmung der Vorlage ein Risiko eingehen?

Stiller: Es war tatsächlich beängstigend, denn der Ton des Films war anders als alles, was ich vorher gemacht hatte. Ich wollte es dennoch wagen, weil ich mich mit der Botschaft des Films identifizierte. Vielleicht konnte ich mich deswegen mit Walter Mitty identifizieren, weil ich langsam in ein Alter komme, in dem mir all diese Dinge bewusst werden. Wenn man älter wird, denkt man plötzlich über die Zeit und das Leben nach und lernt, den Moment zu genießen.

Ricore: Der Film scheint komplexer als alle Filme, die Sie zuvor gemacht haben. Wie war es für Sie, gleichzeitig zu spielen und Regie zu führen?

Stiller: Es ist immer frustrierend, weil man immer versucht, ein besserer Regisseur für die Schauspieler zu sein und ein besserer Schauspieler für den Regisseur. Auf zwei Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen ist schwer. Ich versuche offen zu sein für Hilfe von Außen und mit Menschen zusammenzuarbeiten, die ich respektiere. Das Wichtigste ist Vorbereitungsphase. Wenn es an der Zeit ist zu spielen, sollte man nur spielen.

Ricore: Sie drehten vor erstaunlichen Kulissen. Wie war es, in Island zu arbeiten?

Stiller: Island ist großartig. Das Land hat eine dramatische Landschaft. Es ist ein Ort der Extreme, angefangen mit den Nordlichtern bis zum Phänomen der Mitternachtssonne, von den Gletschern bis zu den Bergen und den schwarzen Stränden. Es ist wie in einer anderen Welt.

Ricore: Filmten Sie wirklich an der Nordsee oder fanden die Aufnahmen in einem großen Wasserbecken statt?

Stiller: Ich wollte, dass wir in einem echten Meer mit echten Wellen, einem echten Schiff und einem echten Hubschrauber drehen. Dabei gab es einmal einen seltsamen Zwischenfall. Wir drehten ungefähr sieben Meilen [ca. elf Kilometer; Redaktion] vom Ufer, als das Boot samt Kamera und Crew wegdriftete. Zwei Minuten befand ich mich allein auf hoher See, nur mit einer Aktentasche ausgestattet, und wartete, bis die Kamera wieder da ist. Ich dachte: 'Hoffentlich finden Sie mich, wenn sie für die Aufnahme bereit sind.' Ich fühlte mich in dem Moment einer großen Gefahr ausgesetzt. Es war einer der Momente, in denen man denkt: 'Passiert das grade wirklich?'

Ricore: Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf die Arbeit an "Das erstaunliche Leben von Walter Mitty" zurück?

Stiller: Es war eine unglaubliche Erfahrung, da während der Arbeit eine Art Kameradschaft zwischen allen Mitwirkenden herrschte. Letztlich nimmt man nach der Arbeit an einem Film die Erfahrung mit. Ich bin stolz auf diese Erfahrung und ich hoffe, dass der Film den Menschen gefallen wird. Mehr kann ich nicht verlangen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch
erschienen am 4. Januar 2014
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Walter Mitty (Ben Stiller) muss man einfach als Verlierer bezeichnen. In einer Ellbogengesellschaft wie der heutigen wird er immer wieder schamlos ausgenutzt. Anstatt sich zu wehren, flüchtet sich Mitty in einer Fantasiewelt. Hier kann er sein, was ihm in der Wirklichkeit versagt bleibt: ein Held. Ben Stillers erster Regie-Arbeit seit "Tropic Thunder" liegt die 1939 erschienene Kurzgeschichte "Walter Mittys Geheimleben" von James Thurber zugrunde. Sie diente bereits 1947 Norman Z. McLeod für..
Als Sohn der Komödianten Jerry Stiller und Anne Meara wird Ben Stiller der Lebensweg in die Wiege gelegt. Der New Yorker ist als Schauspieler, Regisseur und Produzent erfolgreich. Seine Mitgliedschaft bei Hollywoods Owen und Luke Wilson, Vince Vaughn, Steve Carell, Will Ferrell sowie Jack Black. Zu den bekanntesten Filmen der Gruppe gehören "Cable Guy - Die Nervensäge" von und mit Stiller, mit Owen Wilson, "Meine Braut, ihr Vater und ich" (Stiller, Owen Wilson), "Die Royal Tenenbaums"..
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