Sony Pictures Entertainment
Layla Mohammadi in "The Persian Version" (2023)
Haut und Haare bedecken
Interview: Maryam Keshavarz zu "The Persian Version"
Maryam Keshavarz, geboren im Juni 1975 in New York, wird 2006 mit den Teddy Award der Berlinale für ihre Teenager-Liebesgeschichte "Der Tag an dem ich starb" ausgezeichnet. Für "Sharayet - Eine Liebe in Teheran" gewinnt sie 2011 erstmals auf dem Sundance Filmfestival den Publikumspreis für den besten Spielfilm, 2023 erobert sie erneut die Herzen der Zuschauer mit "The Persian Version". Im Zentrum steht Leila (Layla Mohammadi), das Alter Ego der Regisseurin, und ihr Leben zwischen der amerikanischen und iranischen Leben.
erschienen am 8. 04. 2024
Sony Pictures Entertainment
Layla Mohammadi & Niousha Noor in "The Persian Version" (2023)
Auf Erfahrungen zurückgreifen
Ricore Text: Warum sind Sie für Ihre ersten Filme in den Iran zurückgekehrt?

Maryam Keshavarz: Autoren greifen immer zu einem bestimmten Punkt auf ihre Erfahrungen zurück. Das musste mir auch erst klar werden. Für meinen Abschlussfilm schrieb ich ein dummes, austauschbares Buch über eine Studentenliebe. Mein Professor pfiff mich zurück. Was ich geschrieben habe, sei nicht authentisch. Nach seiner Kritik dachte ich darüber nach, worüber ich etwas Neues aus eigener Erfahrung erzählen könnte. Dafür habe ich in "Die Farbe der Liebe" an meine Erlebnisse im Iran angeknüpft, wo ich alle Sommer in meiner Kindheit und Jugend verbracht hatte. Meine Freunde und Freundinnen führten dort ein Leben, das im Westen weitgehend unbekannt war.

Ricore Text: Auch das Bild von iranischen Frauen ist in ihren Filmen ambivalent. Auf der einen Seite sind sie hoch gebildet, auf der anderen Seite haben sie weniger Rechte als die Männer und müssen Haut und Haare in der Öffentlichkeit bedecken.

Maryam Keshavarz: Diese Einschränkungen für Frauen galten immer unabhängig vom Regime, auch wenn die Städte in den 1960er und 70en Jahren ein anderes Bild suggerierten. Meine Mutter durfte nicht studieren, meine Großmutter nicht mal alleine das Haus verlassen. Das hat sich gewandelt. Heute sind mehr als 50 Prozent der Studenten im Iran weiblich, der Anteil von Rechtsanwältinnen oder Ärztinnen ist in der Berufsgruppe höher als in den USA. Auch meine Mutter hat uns immer vor gelebt, dass Frauen keine Opfer sind. Das wollte ich "The Persian Version" aufnehmen, für den Fatih Akins "Gegen die Wand" mein Vorbild war.

Ricore Text: Der Berlinale-Gewinner des Jahres 2004.

Maryam Keshavarz: Der Einfluss von Fatih Akin auf mein Werk war auch einer der Gründe, warum ich mit dem Film nach München kommen wollte. Der Film ist sehr mutig und für alle muslimischen Frauen bedeutsam. Ich fand mich als Iranerin, die in New York aufgewachsen ist, darin wieder. Die inneren Befindlichkeiten der bikulturellen Menschen in Europa und den USA sind ähnlich. Selbst für die zweite und dritte Generation stellt sich die Frage, was ist unsere Identität. In den USA gibt es keinen Film aus weiblicher Sicht über die Einengung durch Traditionen der muslimischen Gemeinde.
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Layla Mohammadi in "The Persian Version" (2023)
Streifzug durch die Geschichte des Iran
Ricore Text: Ihr Film beginnt mit einem Streifzug durch die Geschichte des Iran. Er erinnert auch an die Freiheiten, welche die Menschen lange hatten. Warum beschreiben Sie Ihren eigenen Abschied vom Land als Scheidung?

Maryam Keshavarz: Ich hatte gerade selbst eine Scheidung hinter mir, und habe eine Tochter, die heute zwischen ihrem Vater und mir verhandeln muss. Sie soll verstehen, woher ich komme. Außerdem dachte ich, dass der Zuschauer sehr schnell die Parallele zwischen Abschied und Scheidung versteht.

Ricore Text: Gleichzeitig führt dies auch in Ihre Familiengeschichte ein, die durch die Zerrissenheit zwischen zwei Kulturen stark geprägt wurde.

Maryam Keshavarz: Wenn ich über Politik nachdenke, dann immer über die Konsequenzen für die Menschen. Es macht mir Angst, dass Politiker oft nicht darüber nachdenken, was ihre Entscheidungen für den Einzelnen bedeuten. Nicht nur im Iran, wo die Familien von Verhafteten bedroht werden. Das beobachte ich auch in den USA. Das Land ist gespalten. Die Ex-Frau meines Bruders ist ein Fan von Trump. Ihre Eltern kamen aus Polen, sie wuchs als Teil unserer Familie auf. Und sie unterstützt einen Rassisten! Ich konnte monatelang nicht mehr ihr sprechen.

Ricore Text: Sie sind mit sieben Brüdern aufgewachsen!

Maryam Keshavarz: In Wirklichkeit sind es sogar acht. Ein Bruder verweigerte sein Einverständnis. Aber die Verhältnisse stimmen, in denen ich in New York aufgewachsen bin.

Ricore Text: Ihre Filme über den Iran führten auch zu einem Einreiseverbot in den Iran.

Maryam Keshavarz: Ich fühle mich als Iranerin und als US-Bürgerin. Es zerreißt mein Herz, dass ich nicht mehr in den Iran einreisen kann. Ich habe dort viel über mich, Familie und Traditionen gelernt. In den USA scheint alles einfacher zu sein, aber auch dort bestimmen Herkunft und Umgebung, wer du bist und sein kannst.
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The Persian Version (2023)
Dumme Entscheidung der USA
Ricore Text: Umgekehrt führten auch die USA 2011 Einreisebeschränkungen für Iraner ein.

Maryam Keshavarz: Diese Entscheidung ist so dumm. Unser Autor Abolfazl Talooni spricht mit einem britischen Akzent, hat einen britischen Pass, seine Frau ist Britin. Ihm ist wegen seiner Herkunft nicht erlaubt, in die USA zu reisen. Amerika kreiert gerade eine Zweiklassengesellschaft. Das ist ungesund im 21. Jahrhundert.

Ricore Text: Haben Sie deshalb in Berlin und Babelsberg geschnitten?

Maryam Keshavarz: Für die Postproduktion hatte ich bereits ein Studio in Los Angeles gebucht, als die Mutter meines deutschen Kameramanns André Jäger an Krebs erkrankte. Er wollte während der Chemotherapie bei ihr sein, und wir hätten nur Kontakt via Zoom gehabt. Aber er hat so viel für den Film getan. Ich war es ihm schuldig, nach Deutschland zu kommen.

Ricore Text: Wie hat Ihre Familie auf den Film reagiert?

Maryam Keshavarz: Meine Brüder fanden sich cool. Meine Mutter habe ich nach der Premiere in Sundance lange vergeblich gesucht. Ich war schon beunruhigt, dann fand ich sie weinend und überglücklich. Früher hätte sie sich vielleicht geschämt. Nun versteht sie, warum wir die Pflicht haben, unsere Geschichte zu erzählen. Meine Tochter hat auch ein ganz anderes Verhältnis zu ihr als ich. Sie kann mit ihr über geschlechtliche Identitäten frei reden, während ich vor Verwunderung über ihre Offenheit die Hände über dem Kopf zusammenschlage. Meine Mutter ermutigt sie, du kannst alles sein. Es ist verrückt, wie sie sich in 40 Jahren verändert hat. Und das ist gut so.

Ricore Text: Haben Sie Hoffnung auf Veränderungen auch für den Iran?

Maryam Keshavarz: Der Protest wird nie enden. Auch weil er sich selbst verändert. Die Menschen nutzen die Sozialen Medien zur Kontaktpflege sowie zur Meinungsäußerung, und endlich erheben auch die Frauen ihre Stimme. In vielen Städten verbergen sie ihr Haar nicht mehr. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das überhaupt noch erlebe. Umso größer ist mein Schmerz über die vielen Hinrichtungen. Aber sie können den Einzelnen töten, die Bewegung können sie nicht aufhalten.

Ricore Text: Danke für das Gespräch
erschienen am 8. April 2024
Zum Thema
Leila (Layla Mohammadi, als Kind Chiara Stella) lebt in zwei Kulturen, die einst eng verbunden waren und sich jetzt spinnefeind sind. Der Vater Ali (Bijan Daneshmand, Shervin Alenabi als junger Mann) kam Ende der 1960er Jahre aus dem Iran in die USA.
2024