Tzveta Bozadjieva/Ricore Text
Colin Nutley
Engländer in Schweden
Interview: Kein Herzschmerz - Freudentränen!
Im Jahr1983 kam Colin Nutley zum ersten Mal für Dreharbeiten zu der TV-Serie "Annika" nach Schweden. Seitdem lebt und arbeitet der Brite in Stockholm. Mit Filmen wie "Das Glück kommt morgen" und "Der letzte Tanz" hat er sich einen Platz in den Herzen der schwedischen Zuschauer gesichert. Auch europaweit ist er mit seinem Schaffen bekannt geworden. Mit der Schauspielerin Helena Bergström verbindet ihn nicht nur eine langjährige Zusammenarbeit. Seit 1990 sind die zwei verheiratet und haben zwei Kinder. Seine Filme sind sehr treffende Charakterisierungen der schwedischen Mentalität. "Schwedisch für Fortgeschrittene" ist da keine Ausnahme.
erschienen am 6. 07. 2007
Prokino Filmverleih
Schwedisch für Fortgeschrittene
Ricore: Was interessierte Sie an dem Thema Frauen, Mitte 40?

Colin Nutley: Naja, meine Frau hat mir eine Pistole an den Kopf gesetzt (lacht) Nein, es hat mich sehr lange Zeit beschäftigt. Ich habe schon einen Film gedreht über zehn Schauspielerinnen Mitte 40. Das Problem ist es, dass man mit 40 so eine Art Krise durchmacht. Männer erleben diese Krise, wenn sie 50 sind. Gott sein Dank, bin ich nicht betroffen. Wegen den Kindern hatte ich keine Zeit für Existenzkrisen. Aber ich habe viele Freunde, die sich Lederhosen und Harley Davidson zulegen. Das sind Männer, die sich weigern ihren 60. Geburtstag zu akzeptieren. Bei Frauen ist diese Grenze der 40. Geburtstag.

Ricore: Frauen über 40 sind nicht unbedingt en vogue in der Kinoindustrie...

Nutley: Das stimmt. Wenn du Sean Connery bist, kannst du auch mit 74 Jahren ein Held sein. Ich kann vom Glück reden, dass Helen Mirren und Judi Dench gegen diesen Trend ansteuern. Vielen Dank Mädels, dass ihr mir Argumente gebt, den Leuten in den Arsch zu treten, die nur 22-Jährige sexy finden.

Ricore: Wie kamen Sie auf die Idee zu dem Film?

Nutley: Ich habe eine 43-jährige Frau kennen gelernt. Sie war frisch geschieden und hat erzählt, dass sie am Boden zerstört sei und einen neuen Mann kennen lernen wolle. Sie meinte, dies sei ein Gefühl, als wäre sie wieder Jungfrau. Das ist eine sehr schwierige Situation. Ich kann sehr gut verstehen, was sie meint. Wir sind alle jungfräulich gewesen. Ich war es viel länger, als man es sein dürfte. Ich habe versucht mich an meinen ersten Kuss zu erinnern. Es war aufregend, aber auch erschreckend. Wenn man zum zweiten Mal in so einer Situation ist, kennt man das schon. Aber was bleibt einem übrig, außer die gleichen Fehler vielleicht noch einmal zu machen. Es ist kein Drama, wenn man am nächsten Morgen aufwacht und sich denkt: "Gott, ich hätte nicht so viel trinken sollen!". Ein Problem ist es wenn man stehen bleibt und sich nicht weiterentwickelt.
Prokino Filmverleih
Schwedisch für Fortgeschrittene
Ricore: Ging es Ihnen darum in "Schwedisch für Fortgeschrittene"?

Nutley: Ich habe mit vielen Frauen geredet, die durch eine Trennung gegangen sind. Sie hatten erwachsene Kinder, die aus dem Haus sind. Sie werden sich dessen bewusst, dass es ein Lebenszyklus ist. Mit dem Film wollte ich unterhalten. Ich wollte die spaßige Seite zeigen, dass Männer wie Sand auf dem Weg einer Frau sind. Sie kommen und sie gehen. Am Ende empfinden meine Figuren Freundschaft, Hoffnung, Entwicklung. Wir haben aus ganzem Herzen gelacht, als wir den Film gemacht haben. Und wir haben es aus einem bestimmten Grund gemacht. Ich meine, wie oft diskutiert man Pornografie mit Bekannten? Man macht es nicht. Doch Tatsache ist es, dass Millionen Menschen es schauen. Wir haben lange wegen der Dildo-Szene überlegt. Am Ende haben wir uns dafür entschieden, weil das im Einklang mit Film war. Es hat nichts mit Pornografie zu tun, sondern mit Seele und Lebenslust, mit dem Gefühl, erfülltes Leben zu haben. Wir haben zwei Kinder und es gab schon einige verzwickte Situationen im Bett. Ich habe sogar gescherzt: "Wir machen keine Kinder mehr, wir werden immer wieder gestört." Man muss mit den Geschehnissen im Leben mit Humor umgehen. Deswegen haben wir uns für die Szene entschieden. Wenn nur eine einzige Frau in Schweden nach dem Film rausgeht und sich ein Dildo besorgt, werde ich glücklich sein.

Ricore: Wie ist das Interesse an dem Thema?

Nutley: "Schwedisch für Fortgeschrittene" ist der größte Film in Schweden seit zwei Jahren. Es hat sogar amerikanische Produktionen geschlagen. Entweder sind Millionen Frauen ins Kino gegangen, oder sie haben auch ihre Männer mitgeschleppt. Es kann natürlich auch daran liegen, dass Maria Lundqvist einen Plastikpenis in der Hand hält. Nein, es ist ein unterhaltender Film für Frauen mit einem guten Ende. Das kommt gut an. Ich kann mir nichts Langweiligeres denken als schnelle Action-Filme mit Schießereien und Verfolgungsjagden. Vielleicht wenn man 26 ist, findet man so etwas lustig. Was ich aber unterhaltsam finde, sind Frauen. Die weihen dich in deren Welt ein. Normale Leute mit deren Problemen - das ist spannend.
Tzveta Bozadjieva/Ricore Text
Colin Nutley
Ricore: Sie gelten als Regisseur, der das typisch Schwedische beschreibt. Sind Sie mit diesem Ruf glücklich?

Nutley: Vor zwölf Jahren habe ich einen Film gemacht, "Fanny's Farm" hieß er. Er wurde überall auf der Welt gezeigt. Ich muss sagen, dass ich ein bisschen schockiert war, als ich "Wie im Himmel" sah. Die zwei Filme sind sich sehr ähnlich. Naja, "Fanny's Farm" wurde mehr als ein Film, er ist wie ein Teil von Schweden. Von diesem Moment an galt ich als der schwedischste von allen schwedischen Regisseuren. Kritiker sagen, ich kenne Schweden. Natürlich kenne ich es. Ich bin Ausländer und ich habe eine andere Perspektive. Ich habe einen anderen Blick auf München als die Deutschen. Wenn ich London zusammen mit Schweden besuche, dann fragen die nach den Gebäuden und ich halte das Auto an und denk mir: "Krass, ist mir nie aufgefallen". Also es ist nicht so seltsam, dass mir mehr Dinge an der schwedischen Mentalität auffallen.

Ricore: Sind die Frauengestalten wegen deren emanzipierten Denkens typisch schwedisch?

Nutley: Während der Dreharbeiten, hat sich Marie ein weit ausgeschnittenes Kleid ausgesucht. Das Mädchen, das ihre Filmtochter spielte, hat sehr aggressiv darauf reagiert: "Komm schon, das ist widerlich!", sagte sie. "Wieso ist das anstößig?", habe ich gefragt. Was ist der Unterschied zwischen einer 21-jährigen und einer 45-Jährigen Frau, die das Kleid trägt? Die Schweden sind sehr gegensätzlich. Sehr emanzipiert auf der einen Seite und unglaublich konservativ auf der anderen Seite. Ich empfinde Schweden ist in dieser Hinsicht ein bisschen rückständig. Als ich vor zwölf Jahren ankam, waren Männer und Frauen total gleichgestellt. Als Brite hat mich das total schockiert - also positiv überrascht. Nun müssen sie sich de Rechte zurückerkämpfen. Es würde mich interessieren, ob der Film in Deutschland gut ankommen wird.
Prokino Filmverleih
Schwedisch für Fortgeschrittene


Ricore: Denken Sie über eine Rückkehr nach London nach?

Nutley: Ob ich nach London gehen will, um dort zu leben? Niemals. Ich besuche England öfters wegen meiner Arbeit. Aber Stockholm ist fantastischer Ort zum Leben. Schweden ist ein tolles Land. Unsere Kinder gehen dort zur Schule, wir haben schönes Zuhause. Wahrscheinlich werde ich in England einen Film drehen. Heute haben wir das mit den Kindern besprochen, für acht Monate dahin zu fahren. Aber da ist kein Grund, Schweden zu verlassen.

Ricore: Betrachten Sie Schweden als ihr Zuhause?

Nutley: Am Ende hört man sich sagen: "Wir machen das nicht Zuhause. Moment Mal, ich habe gerade "Wir" gesagt. Aber ich bin kein Schwede". Man erreicht diesen Punkt. Es gibt aber Sachen, die sich nie ändern. Wenn ein Fußballspiel zwischen England und Schweden ansteht, dann will ich dass die Engländer die Schweden in Grund und Boden spielen. Oder wenn jemand etwas gegen die Queen sagt, dann stehe ich gleich auf. Ich bin stolz auf England. Aber wenn mich jemand fragt, wo ich begraben werden möchte, dann würde ich mit "Stockholm" antworten. Die Stadt ist in so vielen Hinsichten mein Leben. Ich bin glücklich in Schweden, deswegen verrate ich die schlechten Sachen des Landes. Die gibt es ja auch...

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 6. Juli 2007
Zum Thema
Die Suche nach dem richtigen Partner ist eine unerschöpfliche Inspirationsquelle für Filmemacher. So auch für den schwedischen Regisseur Colin Nutley. In seiner schwungvollen Komödie erzählt er ohne unnötige Melancholie von zwei Frauen, die ihrem tristen Dasein ein Ende setzen und sich auf neue Liebesabenteuer einlassen wollen.
2024