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Peter Greenaway
Neuer Bären-Favorit am siebten Festivaltag
Peter Greenaway begeistert Berlinale mit Eisenstein-Hommage
Am siebten Tag der Berlinale feiert Peter Greenaways Sergej Eisenstein-Studie "Eisenstein in Guanajuato" ihre Weltpremiere. Der legendäre britische Regisseur steht mit dem virtuos inszenierten und vielschichtigen Film dem nicht minder legendären sowjetischen Filmemacher an Experimentierfreude in nichts nach. Sein auch schauspielerisch großartig interpretierter Film begeistert das Berlinale-Fachpublikum und gilt als Bären-Kandidat.
11. Feb 2015: Die Handlung von "Eisenstein in Guanajuato" ist anfang der 1930er Jahre in Mexiko angesiedelt. Der visionäre sowjetische Regisseur Sergej M. Eisenstein (Elmer Bäck), der nach nur vier Filmen, "Streik", "Panzerkreuzer Potemkin", "Oktober" und "Die Generallinie" gerade mal 33-jährig zu den renommiertesten Filmkünstlern der Welt gehört, reist nach Mexiko, um hier einen Film zu drehen. Zu seiner Entourage gehört unter anderem Kameramann Eduard Tissé. Erwartet werden die Russen in Guanajuato von dem Künstler-Paar Diego Rivera und Frida Kahlo.

"Qué viva México" wird Eisenstein trotz 50-stündigem Filmmaterial nicht fertigstellen. Und doch wird die Reise für den Regisseur etwas Gutes haben. Die Begegnung mit der Kultur und den Menschen des exotischen Landes wird für ihn eine lebensverändernde Erfahrung werden.

Es ist die Begegnung mit dem Tod, dem Thanatos, und der Liebe, dem Eros, die seine Welt 'erschüttern' werden, wie es in "Eisenstein in Guanajuato" in Anlehnung an den vollständigen Titel von Eisensteins dritten Film, "Oktober. Zehn Tage, die die Welt erschütterten", heißt. Der Filmemacher, der in seinem Werk mehrmals die Blut vergießende Revolution in seinem Land nachgestellt hat, lernt den Tod von einer neuen Seite kennen. Während in Russland das Thema weitgehend tabuisiert wird, so seine Erkenntnis, ist es in Mexiko allgegenwärtig. Um dies zu verdeutlichen, umgibt Greenaway Eisenstein immer wieder mit dem Morbiden: Totenschädel, mumifizierte Leichen, bei einer Naturkatastrophe ums Leben gekommene Menschen, zu denen auch ein sterbendes Baby gehört, säumen in den nächsten Monaten den Weg des Künstlers.

Dem Eros begegnet der sexuell unerfahrene Eisenstein bald in Gestalt seines mexikanischen Führers, Palomino Cañedo (Luis Alberti). Der attraktive junge Mann führt den neugierigen und gebildeten Künstler nicht nur in die Kultur seines Landes ein, sondern erweist sich auch in Liebesdingen ein Wegweiser. Höhepunkt der sexuellen Erweckung Eisensteins ist eine Sexszene zwischen dem Künstler und Palomino, die Greenaway ebenso unverblümt wie humorvoll in Szene setzt. Wie Russland vor 14 Jahren entjungfert wurde, lässt er Eisenstein nach dem Geschlechtsakt stöhnen, so habe auch er heute seine Unschuld verloren. Daraufhin steckt ihm sein Liebhaber eine rote Miniaturflagge in den Anus. Es ist die witzigste Szene dieses ungemein witzigen Films.

Sex und Tod - das sind auch in der Geschichte des Films die zentralen, immer wiederkehrenden Themen, heißt es einmal in "Eisenstein in Guanajuato". Aus diesem Grund platziert Greenaway die übrigens mit Blutvergießen einhergehende Liebesszene exakt in der Mitte seines Films. Und um die Bedeutung des Eros nicht nur im Leben Eisensteins noch deutlicher zu machen, lässt er in der Mitte dieser Mitte das Wort 'fuck' erklingen, wie der Regisseur auf der Berlinale-Pressekonferenz im Anschluss an die Pressevorführung erklärte.

Wie viele Filme Greenaways zeichnet sich auch "Eisenstein in Guanajuato" neben der ausgesprochen geometrischen Struktur durch ein genüssliches Spiel mit den kinematographischen Codes aus. Da gibt es Wechsel von Schwarz-Weiß- zu Farbaufnahmen innerhalb einer Einstellung, Splitscreens, verzerrte Perspektiven und noch mehr formale Einfälle, die die ungebrochene Lust Greenaways am Filmemachen zum Ausdruck bringen. Man müsse die Möglichkeit des Films ausreizen, sagte Greenaway auf der Pressekonferenz, und beschwor dabei unter Absage des Realismus die Künstlichkeit eines filmischen Kunstwerks, die seiner Meinung nach übrigens noch immer in den Kinderschuhen stecke.

Es grenzt schon an ein Wunder, dass die schauspielerischen Leistungen von "Eisenstein in Guanajuato" neben dem formalen Exzess Greenaways bestehen können. Vor allem Elmer Bäck liefert als Eisenstein eine Glanzleistung. Der finnische Schauspieler geht so sehr in der Rolle auf, dass man zu keinem Zeitpunkt das Gefühl hat, einem Darsteller beim Spielen zu beobachten. Er interpretiert Eisenstein als einen ungemein gescheiten, schlagfertigen und wortgewandten Intellektuellen, der sich auch im Mannesalter das Kindliche bewahrt hat. Immer wieder erinnert der mit Filmzitaten angehäufte Film auch an Milos Formans "Amadeus", in dem Tom Hulce den Komponisten als infantiles Genie verkörpert.

Sensibel wie er ist, schottet sich Eisenstein sein Leben lang von allem ab, was ihm zu nah kam, heißt es an einer Stelle von "Eisenstein in Guanajuato" sinngemäß. Erst in Mexiko findet er zu sich selbst. Groß ist entsprechend sein Schmerz, als er das Land seiner Erweckung wieder verlassen muss. Er sei jetzt tot, sagt er am Ende, setzt sich unter Tränen eine Totenmaske auf und lässt sich aus dem Paradies eskortieren.
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