André Weikard/Ricore Text
Maren Kroymann
Politisch engagiert: Maren Kroymann
Interview: Schwul-lesbische Vorbilder sind wichtig
Mit ihrer Mutterrolle in Emily Atefs "Das Fremde in mir" betrat Maren Kroymann kein Neuland. Schon in vorhergehenden Produktionen sowie der deutschen Fernsehserie "Mein Leben und ich" stellte sie ihre Muttergefühle vor der Kamera unter Beweis. Dabei hat die knapp 50-Jährige selbst keine Kinder. Ihre Beziehung zu ihrer eigenen Mutter war jedoch immer sehr stark, wie sie in unserem Gespräch erklärt. Filmreporter.de erfuhr zudem, warum der Zivilcouragepreis des Berliner Christopher Street Days der lesbischen Schauspielerin so viel bedeutet.
erschienen am 14. 10. 2008
Ventura Film
Das Fremde in mir
Ricore: Regisseurin Emily Atef hat über Sie gesagt, wenn Sie sich eine zweite Mutter wünschen dürfte, dann wären Sie das. Wie kommt es dazu, dass Sie so ein enges Verhältnis zueinander haben?

Maren Kroymann: Wir haben uns beim Casting kennen gelernt und irgendwie hat sie mich besetzt, weil sie dachte, ich sei eine großartige Mutter. Ich fand das total entzückend, weil ich ja keine bin. Trotzdem spiele ich häufig Mütter. Und das in unterschiedlichen Produktionen. Die Chemie hat auch mit Susanne Wolff sofort gestimmt. Das war für den Film wichtig, weil die Liebe von ihr zu ihrer Mutter da ist, im Gegensatz zum Verhältnis von ihr zu ihrem Kind. Das hat harmoniert, obwohl wir uns gar nicht ähnlich sehen. Sie ist dunkelhaarig und ich bin ein extrem heller Typ. Ich finde es toll, dass man bei der Besetzung unseren Emotionen vertraut hat. Man hätte ja auch sagen können, wir brauchen auf Teufel komm' raus eine schwarzhaarige Mutter.

Ricore: Sie haben gesagt, dass Sie selbst keine Mutter sind. Macht es das für Sie schwieriger, eine Mutter zu spielen?

Kroymann: Ich finde das überhaupt nicht schwieriger. Ich hatte ja eine Mutter. Ich bin das jüngste von fünf Kindern und hatte eine sehr intensive Bindung zu meiner Mutter. Das war der wichtigste Mensch in meinem Leben - sie ist es bis heute. Ich konnte das sehr gut beobachten. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass ich immer wieder Mütter spiele. Das ist der Parameter für mein Spiel. Mir kommt es so vor, als ob ich das sehr gut kenne.

Ricore: Was denken Sie über die Thematik des Films?

Kroymann: Ich konnte schon beim Drehbuchlesen nachvollziehen, dass eine Frau einen Säugling bekommt und überhaupt nichts mit dem Kind anfangen kann. Ich fand es ganz toll, dass dies endlich einmal gezeigt wird, weil es sehr vielen Frauen so geht. Die Suggestion, dass eine Frau automatisch auch eine Mutter ist, stimmt nicht. Es ist etwas, das man lernen muss. Mit einem Baby umzugehen, wäre mir nicht so leicht gefallen. Ich erinnere mich an eine Situation als Kind, wo meine Kusinen mit einem Baby spielten und mich fragten: "Maren, willst du's auch mal anfassen?" Ich wollte nicht. Länder ohne Nazizeit haben dem Begriff Mutterliebe eine ganz andere Richtung gegeben. Die standen nicht so sehr unter dem Einfluss der Kirche. In Frankreich, das durch die französische Revolution schon früh ein laizistischer Staat wurde, ist man in dieser Frage sehr viel rationaler. Im Französischen gibt es etwa den Begriff "Rabenmutter" nicht.
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Maren Kroymann
Ricore: Ist das also ein Film mit einem deutschen Thema? Wurde er auch so in Cannes aufgenommen?

Kroymann: Die Zuschauer haben es nicht als deutsches Thema gesehen. Sie waren sich des Problems sehr bewusst und offen für die Reflexion des Films. Mich beschäftigen diese Vernachlässigungsmorde, die im Augenblick in Deutschland nicht nur im Osten häufig vorkommen, weil die Eltern mit ihrer Rolle nicht klar kommen. Der Bezugspunkt zwischen unserem Film und dem Thema ist das Zusammenbrechen des Begriffs der Mutterliebe. Das angeblich natürliche Band zwischen Mutter und Kind existiert nicht mehr. Es fehlt einem selbst die Perspektive, so dass man keine Verantwortung übernehmen kann. Wenn die Frauen alkohol- oder drogenabhängig sind, dann gelingt es ihnen auch nicht mehr, sich um ihre Kinder zu kümmern. Vielleicht wird ein zwischenmenschliches Miteinander in dieser Leistungsgesellschaft auch nicht ausreichend gewürdigt. Es wird anerkannt, wenn jemand in seinem Beruf erfolgreich ist und viel Geld verdient. Dass sich jemand um seine Kinder sorgt, ist kein Thema. Was läuft denn in der Glotze? "Germanys Next Topmodel" und "Deutschland sucht den Superstar". Es geht immer nur um Erfolg.

Ricore: Im Film wird das Thema eher allgemein gehalten: Rebecca tut ihrem Kind nichts an, sie ist eine berufstätige Frau in einer intakten Beziehung.

Kroymann: Das finde ich auch sehr gut. Ich finde es wichtig, dass nicht gesagt wird: "Ah, diese Frau ist sozial schwach. Das erklärt alles". Gezeigt werden soll ja, dass dies jeder Frau passieren kann. Deshalb ist auch die Rolle von Rebeccas Mutter so wichtig, um zu zeigen, dass sie ein gutes Verhältnis zu ihr hat. Man kommt viel zu schnell auf Erklärungen. Zum Beispiel hört man, manchmal seien die Krippen daran schuld, weil die Fälle von Vernachlässigung sehr häufig im Osten vorkommen. Solche Thesen sind sehr heikel. Die Postnatale Depression kann nämlich jede Frau betreffen.
Ventura Film
Das Fremde in mir
Ricore: Warum ist das Thema des Films so aktuell?

Kroymann: Ich glaube, es gibt eine allgemeine Neubestimmung der Geschlechterrollen. Frauen müssen anders darüber nachdenken, wie sie ihr Leben gestalten. Männer müssen das auch. Das wird an der Figur von Julian gut sichtbar. Noch in der Generation meiner Eltern war es selbstverständlich, dass eine verheiratete Frau keinen Beruf ausübte. Solche Einstellungen kommen ins Wanken. Heute muss jeder für sich seine Rolle finden. Natürlich gibt es Frauen wie Meryl Streep, denen es gelingt, vier Kinder zu haben und ein Weltstar zu sein. Aber es gibt nichts Festgefügtes mehr. Der Vater kommt ja auch nicht mit der Situation zurecht und der Schwiegervater erst recht nicht.

Ricore: Am Anfang des Films hat man den Eindruck, dass Julian Rebecca im Stich lässt. War es wichtig, dass er gegen Ende des Films eine versöhnlichere Rolle bekommt?

Kroymann: Ja, es ist wichtig, dass Julian in dieser Geschichte nicht der Schuldige ist. Es wird gezeigt, dass es eine allgemeine Ratlosigkeit gibt. Im Film gelingt ihm eine späte Auseinandersetzung mit seiner Rolle als Vater. Das zeigt auch, dass all das kein Frauenproblem ist. Frauen können ihre Rolle nicht ändern, ohne dass die Männer sich ändern. Das wird ganz gut gezeigt.
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Maren Kroymann
Ricore: Im Film trösten Sie Rebecca, indem Sie sie nach ihrem Selbstmordversuch im Krankenhaus besuchen. Wird Rebecca, der es nicht gelingt, Mutter zu sein, in dieser Szene wieder zum Kind?

Kroymann: Natürlich ist das ein regressiver Moment. Aber es ist auch das, was spontan das Richtige ist. Sie nimmt ihre Tochter in den Arm. Ich würde auch eine Freundin oder meine greise Tante in den Arm nehmen, um sie zu trösten. Da denke ich gar nicht nach und das ist in diesem Augenblick richtig. Wenn jemand so zerbrechlich ist und nicht mehr leben will, kann ich nur Nähe geben und Wärme. Ich fand auch die Idee gut, dass sie sich zu Rebecca ins Bett legt. Das Bedürfnis wieder Kind zu sein, ist nicht nur die Sehnsucht einer jungen Mutter, sondern überhaupt der Wunsch von Menschen. In einem Moment, in dem sie das Gefühl hat, sie kommt mit ihrem Leben nicht klar, tut es ihr besonders gut, wieder Kind zu sein. Auf punktuelle Regression haben sicher alle Menschen ein Recht.

Ricore: Wie waren die Dreharbeiten mit dem Baby für Sie?

Kroymann: Ich habe sehr wenig mit dem Baby zu tun gehabt. Ich habe es nur einmal auf dem Arm gehabt. Das war sehr professionell gelöst, weil es mehrere Babys gab und wir die Proben bis zum letzten Augenblick mit der Puppe gespielt haben. Dann wurde das Baby geholt, war dann ausgeruht und gut beieinander. Die Szene war dann sehr kurz, nur zwei Minuten. Das hat sehr gut geklappt, weil es eben logistisch sehr gut geplant war und weil uns so viele Babys zur Verfügung standen.
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Maren Kroymann
Ricore: Wie ist ihr persönliches Verhältnis zu Kleinkindern?

Kroymann: Ich finde es erfrischend und wunderbar, mit Kindern umzugehen. Die Säuglingsphase habe ich weniger miterlebt. Wenn Menschen in meinem Umfeld kleine Kinder haben, betrachte ich das eher aus respektvoller Distanz. Ich schäkere schon ein wenig. Ich singe ihnen oft was vor.

Ricore: Was singen Sie etwa?

Kroymann: Bei meinem momentanen Lieblingskind gibt es Kinderlieder von einer Kassette, und die singe ich nach. Kommt meist sehr gut an. Oder ich vertone Sätze und mache irgendeinen Quatsch.

Ricore: Womit werden Sie sich in der nächsten Zeit beschäftigen?

Kroymann: Bei mir gibt es zwei Arbeiten, die noch nicht gezeigt worden sind. Das eine ist ein Improvisationsfilm von Gesine Danckwart, der heißt "Um dein Leben". Da geht es um fünf Frauen, die um ihr Leben rennen, reden, kämpfen. Das ist ein schönes Konzept, sehr avantgardistisch. Es sind hauptsächlich Theaterschauspielerinnen, die mitmachen. Ich hab den Film aber noch nicht gesehen. Dann spiele ich noch in einer Episode der Krimi-Reihe "Unter Vedacht" mit Senta Berger - läuft am 10. Oktober um 21.00 Uhr auf Arte.

Ricore: Wie steht's mit Kinoproduktionen?

Kroymann: Im Moment drehe ich einen Kinofilm in Italien nach dem Erfolgsroman "Maria, ihm schmeckt's nicht" von Jan Weiler, mit Christian Ulmen in der Hauptrolle. Sonst spiele ich mein Kabarett-Programm und schreibe ein wenig. Manche meiner Projekte hängen nicht unmittelbar mit meinem Beruf zusammen. Ich habe zum Beispiel in diesem Jahr den Zivilcouragepreis des Berliner Christopher Street Day bekommen, worüber ich mich sehr gefreut habe. Es hat nicht nur mit der Schauspielerei zu tun, aber natürlich auch, weil ich ja in dieser Branche geoutet bin und damit andere Frauen ermutigen konnte. Ich habe mich bei der Diskussion um das Homosexuellenmahnmal beteiligt und dafür eingesetzt, dass dieses Mahnmal auch den Frauen gilt und nicht nur den Männern, wie es zuerst geplant war. Wenn ich mich ausschließlich mit der Schauspielerei und meiner Karriere beschäftigen würde, könnte ich fast keine gute Schauspielerin mehr sein, weil bestimmte Teile des Lebens dann ausgeblendet würden. Ich finde es wichtig, mich als gesamter Mensch zu artikulieren und dazu gehört es eben auch, dass ich mich manchmal politisch äußere.
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Das Fremde in mir
Ricore: Wofür wird der Preis genau verliehen?

Kroymann: Das ist ein Preis für Zivilcourage im homosexuellen Kontext. In diesem Fall geht es um mein offenes Auftreten als Lesbe und besonders darum, dass ich das nicht über die Boulevard-Presse tue, sondern dass ich mich der Society-Berichterstattung weniger hingebe und meine Popularität ausschließlich politisch nutze. Ich will zeigen, dass man Karriere machen kann und diesen Beruf ausüben kann, auch wenn man offen homosexuell ist. Es gibt wenige, die das machen. Deswegen ist es wichtig, dass prominente Frauen sich outen, weil die Vorbilder fehlen. Im Sport ist dieser Mangel am eklatantesten, aber im Show-Business ist es ja auch noch lange nicht üblich. Man hat das gesehen, als Anne Will sich geoutet hat und die Medien sich überschlagen haben, weil sich eine prominente und gut aussehende Frau geoutet hat. Wie auch jetzt bei Ulrike Folkerts, die sich im "Stern" mit ihrer Freundin gezeigt hat. Das ist sehr wichtig, damit in der Öffentlichkeit das Lesbisch-Sein nicht nur Hella von Sinnen überlassen wird. Sie hat ungeheure Verdienste geleistet, weil sie die erste war, von der man es überhaupt wissen durfte! Das hat mir damals auch Mut gemacht. Dieser Preis honoriert auch, dass ich in Kauf genommen habe, nicht besetzt zu werden. Das ist wohl auch der Fall. Es gab sicher einige, die geglaubt haben, ich konnte jetzt keine Hetero-Frauen mehr spielen. Ist natürlich Unsinn. Man muss einfach etwas länger durchhalten, bis alle gemerkt haben, dass es Unsinn ist.

Ricore: Hat sich das Klima Homosexuellen gegenüber in den letzten Jahren verbessert?

Kroymann: Es ändert sich etwas, ja. Ich bin total dankbar dafür, von RTL als Serienmutter engagiert worden zu sein, für die Comedy "Mein Leben und ich". Das ist eine intelligente Serie, die mir einen Widereinstieg als Mutter, als heterosexuelle Frau ermöglicht hat. Jetzt bin ich zwar Weg von der Serie, aber ich habe das Gefühl, wählen zu können. Es war mein Ziel, mich nicht auf die Lesbe festlegen zu lassen und ich glaube, das habe ich mit Hilfe von aufgeklärten Menschen in dieser Branche geschafft, die keine Angst vor so jemandem wie mir haben.

Ricore: Vielen Dank für das interessante Gespräch.
erschienen am 14. Oktober 2008
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Als jüngste Schwester von vier älteren Brüdern musste sich Maren Kroymann schon früh durchsetzen. Dies setzte sich nach ihrem Abitur fort. Bei Auslandsaufenthalten in Paris und den USA entdeckte sie ihre Leidenschaft für das Theater. Nach ihrer Rückkehr nach Berlin 1971 entwickelte sie ein Soloprogramm und ging damit auf Tournee. Dabei verband sie sowohl Gesang als auch Entertainment. So ganz nebenbei wurde sie auch noch fürs Fernsehen entdeckt und erhielt Rollen in TV-Serien. Im Kino war sie..
Bezeichnenderweise ist es eine Frau, die eine filmische Auseinandersetzung mit dem schwierigen Thema Schwangerschaftsdepression wagt. Emily Atef versucht zu rekonstruieren, wie sich eine Mutter (Susanne Wolff) fühlt, die ihr eigenes Kind ablehnt. Die Erwartungshaltung ihres Umfelds ist so hoch, dass sie sich ihren Ängsten allein konfrontiert sieht und schließlich zur Gefahr für ihr eigenes Kind wird.
2024