agentur hein-schlossmacher
Wiebke Puls
Das unsichtbare Auge
Interview: Wiebke Puls in der Psychiatrie!
Zwei Frauen sitzen sich in einem kalten, ungastlichen Raum an einem Tisch gegenüber. Wiebke Puls stochert als Psychiaterin Dr. Feldt in der Seele und den Erinnerungen von Kindsmörderin Jasmin (Anne Schäfer) nach dem Grund für deren grausame Tat. Die Dreharbeiten zu dem kammerspielhaften Film "Jasmin" fanden Ende 2010 in einem früheren Münchner Gefängnis statt. Wie Puls ihr Engagement an den Kammerspielen und den Dreh unter einen Hut bekommt, hat die Schauspielerin Filmreporter.de am Drehort - eben jenem Gefängnis - berichtet.
erschienen am 14. 06. 2012
Filmfest München
Jasmin
Ricore: Was hat Sie an dem Projekt gereizt?

Wiebke Puls: Für eine Schauspielerin ist es eine tolle Aufgabe - eine Hauptrolle in einem Film zu spielen, der mit nur zwei Leuten besetzt wird. Das heißt, es ist wie ein sehr langer Dialog und das ist eine große Aufgabe, weil man viel spielen kann, weil man einen theatralen Bogen spannen kann.

Ricore: "Jasmin" erinnert wegen seiner kammerspielhaften Konzeption auch ans Theater.

Puls: Da war so gemeint. Gleichzeitig ist es auch ein Experiment. Denn es ist schon unüblich, Takes von über 45 Minuten zu drehen, bei denen man letzten Endes darauf vertrauen musste, dass da etwas passiert, wenn zwei Schauspielerinnen ohne vorherige Probe - nur mit dem Text ausgestattet - aufeinander treffen. Man hat uns über weite Strecken überlassen, wie wir mit der Situation umgehen und wie wir sie gestalten wollen.

Ricore: Es gibt nur Sie und Ihre Filmpartnerin Anne Schäfer?

Puls: Der Film ist wie ein Brennglas. Da sind sieben Kameras ununterbrochen auf zwei Leute gerichtet. Das ergibt unheimlich viele Close-Ups, was das Ganze auch darstellerisch zu einem Kammerspiel macht. Dieser Lupen-Effekt ist etwas, wonach ich mich gesehnt habe. Ich spiele seit zehn Jahren Theater, drehe aber so gut wie keine Filme. In "Jasmin" kann ich mein Spiel fortsetzen, ohne es - wie fürs Theater - aufblasen zu müssen. Da kommt der Zuschauer in Form der Kamera soweit auf mich zu, dass ich direkt spielen kann und nicht zusätzlich noch eine formale Übersetzung finden muss.

Ricore: Würden Sie gerne mehr drehen?

Puls: Ja. Aber das ist schon aus zeitlichen Gründen schwierig. In diesem Fall war es möglich, wir haben den Film in vier Tagen gedreht. Länger geht während einer laufenden Theaterspielzeit nicht.
Filmfest München
Wiebke Puls als Psychiaterin
Ricore: Sie spielen im Ensemble der Münchner Kammerspiele?

Puls: Ja. Ich stand vor einer Theaterpremiere, als ich den Text für "Jasmin" lernte. Kurz nach der Premiere ging dann der Dreh los und nebenher kamen neue Proben für das nächste Stück. Da musste ich pausieren und kam ein paar Tage zu spät. Das ist ein riesiges Privileg, die Möglichkeit vom Theater zu bekommen, für den Film frei zu bekommen. Normalerweise wird man für Dreharbeiten nicht freigestellt. Das wäre alles natürlich einfacher, wenn man freier Schauspieler wäre. Aber ich bin sehr gerne fest engagiert und gebe dem Theater in der Regel gerne den Vorzug.

Ricore: Neben der ganzen Logistik: wie groß ist der nervliche Aufwand, in einem Drama eine Kindsmörderin zu spielen?

Puls: Das Thema ist natürlich heftig. Was mir an der ganzen Sache gefällt, ist, dass damit aber nicht so reißerisch umgegangen wird. Es ist eben nicht "Der Totmacher" mit Sensationsmord. "Jasmin" ist ein sehr glaubwürdiges Drama. Die Kindsmörderin sagt einmal: "Das kann jedem passieren". Das ist der interessante Aspekt daran. Natürlich ist es jenseits jeder Grenze, sein Kind zu ermorden und sich selbst umbringen zu wollen. Aber der Film seziert die Voraussetzungen für die Tat. Im Verlauf des Films wird nachvollziehbar, wie es zu so einer Handlung kommen kann, auch wenn man sie nicht gutheißt. Das ist ähnlich wie bei dem Phänomen der Obdachlosigkeit. Da will man sich auch nicht mit beschäftigen. Aber wenn man genau hinschaut, merkt man, dass es ganz leicht ist, sich hoch zu verschulden und schon kann man seine Miete nicht mehr zahlen.

Ricore: Wie ist das mit Ihrer Rolle als Psychiaterin, welche der Täterin in die Seele blicken soll?

Puls: Die Härte meiner Rolle konnte ich mir erst nicht so richtig vorstellen. Davon hatte ich nur eine abstrakte Idee. Sicher stecken ausgebildete und versierte Psychiater so eine Situation leichter weg, als ich es in dem Moment getan habe. Es geht darum, dem standzuhalten, was die Patientin einem da offenbart. Oft ist es die Aufgabe der Psychiaterin, die Patientin dahin zu bringen, sich an die Tat zu erinnern und die Verdrängung aufzuheben. Das ist ein qualvoller Prozess für die Patientin. Es ist ein ungeheurer Kraftakt der Psychiaterin, ihrem Mitleid nicht zu sehr nachzugeben, dabei empathisch zu bleiben, um das Gespräch aufrecht zu erhalten. Da herrscht eine große emotionale und intellektuelle Spannung zwischen den beiden Figuren.

Ricore: Muss man dies für die Kamera intensiver spielen, als für die Bühne oder ist mehr Zurückhaltung gefragt?

Puls: Im Grund ist das keine Frage der Intensität. Im Film hat man die Möglichkeit, den Schritt der formalen Überhöhung wegzulassen. Die ist in einem großen Raum notwendig, um das Spiel auch in 50 Meter Entfernung noch wirken zu lassen und sehr viele Menschen gleichzeitig zu adressieren. Das wird einem abgenommen. Die Kamera kommt so nah an einen heran, dass man mental nichts vergrößern muss. Es ist wie ein unsichtbares Auge, auf das man vertrauen kann, dass es auf einem ruht.
erschienen am 14. Juni 2012
Zum Thema
Bis 1997 studiert Wiebke Puls an der Hochschule der Künste in Berlin. Die 1973 geborene Nordfriesin macht ihr Schauspiel-Diplom mit Auszeichnung. Danach gehts an das Schauspielhaus Hannover bis sie 2000 zum Schauspielhaus in Hamburg wechselt. Seit 2005 ist sie festes Ensemblemitglied der Münchner Kammerspiele.Strong Shit" gibt sie ihr Debüt in einem Fernsehfilm. 2011 ist sie an der Seite von Oliver Korittke in Marcus H. Rosenmüllers "Sommer in Orange" zu sehen. Im selben Jahr überzeugt sie als..
Jasmin (Kinofilm)
Jasmin (Anne Schäfer) hat ihre kleine Tochter getötet. In der psychiatrischen Anstalt wird sie von Dr. Feldt (Wiebke Puls) befragt. Die will den Tathergang rekonstruieren und die Ursachen klären, die zu der Tragödie führten. Bei den Gesprächen erfährt die Psychiaterin, dass Jasmins Handlung eine Folge zahlreicher Enttäuschungen war. Jan Fehses brillant gespieltem Kammerspiel "Jasmin" gelingt es, mit den sparsamsten Mitteln den Zuschauer zu erschüttern und zum Nachdenken anzuregen.
2024