20th Century Fox
Amma Asante auf der New Yorker Premiere von "Dido Elizabeth Belle"
'Sanfte politische Filmemacherin'
Interview: Will Amma Asante die Welt ändern?
Amma Asante beginnt ihre Karriere als Schauspielerin. Als sie mit dem hochgelobten Drama "A Way of Life" ihren ersten Film inszeniert, findet sie ihre Berufung. Im Nachhinein glaubt sie, dass sie keine großartige Schauspielerin gewesen sei. Viel talentierter sei sie darin, den Weg für andere Schauspieler zu bereiten. Das Filmemachen hält sie für eine ernste Angelegenheit. Undenkbar wäre es für sie, einen Film zu drehen, der nichts zu sagen hätte. Filme müssen Diskussionen anregen und im besten Falle die Welt verändern. So wie ihr aktueller Film "Dido Elizabeth Belle". Das auf wahren Begebenheiten beruhende Drama handelt von einer dunkelhäutigen Frau, die im ausgehenden 18. Jahrhundert von der Familie ihres englischen Vater aufgezogen wird.
erschienen am 14. 08. 2014
20th Century Fox
Premierenstimmung: Amma Asante auf dem roten Teppich
Von wahren Ereignissen inspiriert
Ricore Text: Die Geschichte um die Titelfigur und die Familie Mansfield ist in Deutschland wenig bekannt. Wie ist die Beziehung der Engländer zu diesem Kapitel ihrer Geschichte?

Amma Asante: Wenn man sich mit Didos Geschichte eingehend beschäftigt und Recherchen anstellt, kann man schon etwas finden - auch im Internet. Es gibt allerdings kein umfassendes Buch, das sich mit ihr auseinandersetzt. Heute ist sie in England Gegenstand des Geschichtsunterrichts. Kinder und Jugendliche kennen sie viel besser als ich, bevor ich mich mit "Dido Elizabeth Belle" beschäftigt habe.

Ricore: Der Film beruht also auf Fakten? Wie ist das Verhältnis zwischen Wahrheit und Fiktion?

Asante: Alles, was wir über Dido wissen, haben wir in die Handlung eingefügt. Jede künstlerische Freiheit, die wir uns erlaubten, ist von wahren Ereignissen inspiriert. Wir wissen, dass Dido sechs Jahre war, als sie von ihrem leiblichen Vater der Mansfield-Familie übergeben wurde. Wir wissen auch, dass sie gebildet war. Sie hat gelesen und geschrieben. Wir wissen, dass sie ab einem bestimmten Alter im Besitz der Hausschlüssel war. Sie heiratete John Davinier, mit dem sie drei Kinder hatte. Sogar der Umstand, dass sie in Anwesenheit von Besuchern nicht im Kreise der Familie speisen durfte, entspricht den Tatsachen. Das weiß man aus den Dokumenten.

Ricore: Welche Freiheiten haben Sie sich erlaubt?

Asante: Zum Beispiel war Davinier kein Anwalt. Meiner Meinung nach sollte er aber Anwalt sein, weil ich die zwei konkurrierenden Standpunkte in der Zong-Frage betonen wollte. Außerdem steckt dahinter die Frage, wie Lord Mansfield als junger Mann gewesen ist, bevor er ein etablierter Anwalt wurde. John Davinier ist in gewisse Sinne die jüngere Ausgabe Lord Mansfields. Außerdem wollte ich mit dieser Veränderung die Courage und die Weltoffenheit zweier Männer zum Ausdruck bringen, die sich in der damaligen Zeit trauten, eine schwarze Frau zu lieben. Der eine Mann liebt sie als Tochter, der andere im romantischen Sinne.

Ricore: Sie zeigen die Verquickung zwischen Privat- und Berufsleben. Die Entscheidungen die Lord Mansfield trifft, geschehen unter dem Einfluss seiner Familie.

Asante: Wir wissen nicht, inwiefern Dido Lord Mansfield beeinflusst hat oder ob er bereits ein Mann mit festen Charakter war. Die Tatsache, dass er seine schwarze Enkelin akzeptiert hat, zeigt, dass er ein weltoffener Mensch war. Die Vermengung von Politik und Privatheit ist auch ein Grund, wieso wir Dido älter gemacht haben, als sie zur Zeit des Zong-Falles gewesen ist. Wäre sie jünger, könnte sie die großen Fragen der Zeit nicht verstehen.

Ricore: Ist der Einfluss Didos auf Lord Mansfield und damit auf die Geschichte Englands romantisiert oder steckt da ein Fünkchen Wahrheit dahinter?

Asante: Das ist wahr. Dido lebte bei Mansfield, als dieser die wichtigen Entscheidungen im Zong-Fall getroffen hat. Diese Entscheidung hat Englands Geschichte geändert. In den Quellen, selbst im Internet, kann man lesen, wie 'das kleine Mädchen geholfen hat, die Sklaverei zu beenden'. Ich kriege heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke.
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Amma Asante mit den Darstellern Gugu Mbatha-Raw und Sam Reid am Set von "Dido Elizabeth Belle"
Amma Asantes Kampf für...
Ricore: In welchem Maße kämpfte die echte Dido für die Sache der Frau.

Asante: Wir stellen sie tatsächlich als Feministin dar. Ich wollte sie als starke Frau zeigen, die ein politisches Bewusstsein hat. Der Film spielt in einer Zeit, in der die Frauen keine Wahlfreiheit hatten. Wir ziehen eine Verbindung zwischen Frauen und Sklaven. Ich wollte sie als Frau darstellen, die Entscheidungen trifft.

Ricore: Der Zong-Fall und die damit einhergehende Sklavendebatte ist das moralische Zentrum des Films. Sehen Sie Parallelen zwischen diesen und den Amistad-Ereignissen, die Steven Spielberg vor einigen Jahren mit "Amistad" verfilmt hat?

Asante: Mir ist durchaus bewusst, dass es Verbindungen zwischen den beiden Fällen gibt. Uns sind die Dimensionen der Sklaverei heute bekannt, die Tatsache, dass mit Menschen aus Profitgier gehandelt wurde. Bemerkenswert am Zong-Fall und den Amistad-Ereignissen ist die Tatsache, dass hier Menschen aus Habgier ertränkt wurden. Sie wurden umgebracht, weil man mit ihrem Tod Geld zu verdienen wollte. Es ist noch immer ein Unterschied zwischen Menschenhandel und der Tötung von Menschen aus Profitgier. Die beiden Fälle repräsentieren eine neue Dimension der Sklaverei.

Ricore: Hat der Zong-Fall eine ähnliche historische Bedeutung in der Beziehung Großbritanniens zur Sklaverei wie der Amistad-Fall in den USA?

Asante: Er ist von großer Bedeutung. Wie in den USA endete auch in England die Sklaverei nicht von einem Tag auf den nächsten. Es waren viele Schritte dafür notwendig und der 'Zong'-Fall war ein sehr großer Schritt. Er hatte Auswirkungen auf die finanzielle Situation der Sklavenhändler. Kein Händler traute sich mehr, in Schiffe und Sklaven zu investieren, wenn er durch den Verlust der Sklaven keine Entschädigung durch Versicherungen kassieren konnte. Insofern war der Fall in erster Linie keine moralische Sache, er stellte vielmehr die Zweckmäßigkeit des Sklavenhandels in Frage. Man fragte sich: Macht die Praxis noch Sinn? Kann ich damit Geld verdienen?

Ricore: Die Sklaventhematik hat in den letzten Jahren immer mehr Einzug ins Kino gehalten. Filme wie "Lincoln", "Django Unchained", "12 Years a Slave" und nun Ihr Film beschäftigen sich damit. Wie erklären Sie sich die 'Popularität' dieses Themas.

Asante: Die Welt wird für uns Menschen immer kleiner. Mit dem Internet, mit Facebook und Twitter, sind die Menschen miteinander vernetzt und können erkennen, dass sie sich in vielen Punkten gar nicht so sehr voneinander unterscheiden. Das macht sie weltoffener. Wir sind heute eher bereit, unsere Geschichte zu erforschen, damit wir nicht die gleichen Fehler machen. Außerdem hat der Trend auch ein bisschen mit dem Obama-Effekt zu tun.
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Amma Asante macht Filme mit poitischer Relevanz
Filme machen, die Diskussionen anfachen
Ricore: Sie sagten einmal, dass Sie Filme machen wollen, mit denen Sie Diskussionen anregen wollen. Betrachten sie sich als politische Filmemacherin?

Asante: Ich sehe mich als sanfte politische Filmemacherin. Ich hoffe nicht, dass ich eines Tages einen Film machen werde, der nichts zu sagen hat. Ich hoffe nicht, dass ich einen Film machen werde, bei dem man sein Milchshake trinkt und danach sagt: 'Okay, wohin wollen wir essen gehen?' Ich möchte, dass die Zuschauer nach meinen Filmen debattieren und diskutieren und dabei unterschiedliche Meinungen aneinanderprallen. Ich wollte schon immer Filme machen, die Diskussionen anfachen.

Ricore: Sie glauben also, dass Filme Änderungen bewirken können...

Asante: Sonst würde ich diesen Beruf nicht ausüben. Ich bin davon überzeugt, dass Filme den Unterschied machen können, wenn die Politik versagt. Mein Vater ist in Ghana aufgewachsen. Als kleiner Junge sah er "Niagara" mit Marilyn Monroe. Mit 28 Jahren ging er nach England. Mit 52 nahm er uns nach Kanada, damit wir uns die Niagarafälle ansehen. Er konnte sich noch immer daran erinnern, wie er als kleiner Junge in einem westafrikanischen Dorf in einem Film einen großen Hollywoodstar gesehen hat. Filme können Fenster in eine andere Welt öffnen. Sie können eine Geschichten erzählen, die man in den Nachrichten nicht sieht. Sie können einen mit Ideen vertraut machen, die in den Nachrichten zu heftig scheinen, verarbeitet in einer filmischen Geschichte aber erträglich werden.

Ricore: Können Sie diese Auffassung auch in Ihrem nächsten Film durchsetzen, bei dem es sich um einen Thriller handelt?

Asante: Ich denke schon. Es ist ein Film mit zwei weiblichen Protagonistinnen. Die eine ist mit dem Mann der anderen verheiratet. Es geht darum, was es heißt, eine Frau zu sein. Was für ein Mensch ist eine Frau, die früher verheiratet war und nun allein ist. Und was heißt es für eine Frau, wenn sie in den Schuhen der Ex-Frau ihres Mannes steckt. Es geht Identität und Status. Die Politik wird in diesem Film zwar mit einem kleinen 'p' geschrieben, er verhandelt dennoch wichtige Aspekte. Seien Sie nicht überrascht, wenn das Rassenthema wieder vorkommt (lacht).

Ricore: Sie starteten Ihre Karriere als Schauspielerin. Ist das ein abgeschlossenes Kapitel?

Asante: Ja, ich war keine große Schauspielerin. Aber ich liebe es, zu inszenieren und zu schreiben. Ich liebe es, den Weg für die Leistungen anderer Schauspieler zu bereiten. Darin bin ich besser, als ich es als Schauspielerin gewesen bin.

Ricore: Danke für das Gespräch
erschienen am 14. August 2014
Zum Thema
Amma Asante beginnt ihre Karriere als Schauspielerin. Ihre eigentliche Berufung findet die 1969 in London geborene Tochter eines Ghanaers jedoch als Filmemacherin. Ihr Regiedebüt "A Way of Life" wird von Kritikern gelobt und mit zahlreichen Preise bedacht. Das Filmemachen ist für Assante eine ernste Angelegenheit. Undenkbar wäre es für sie, Filme zu drehen, die nichts zu sagen haben. Filme müssen Diskussionen anregen und im besten Falle die Welt verändern. "A Way of Life" ist ein Drama über..
Dido Elisabeth Belle (Gugu Mbatha-Raw) ist die uneheliche Tochter eines englischen Admirals (Matthew Goode) und einer afrikanischen Sklavin. Als junges Mädchen kommt sie in die Obhut ihres aristokratischen Großonkels Lord Mansfield (Tom Wilkinson) und seiner Frau Lady Mansfield (Emily Watson), wo sie mit ihrer Kusine Elisabeth (Sarah Gadon) aufwächst und deren beste Freundin wird. "Dido Elizabeth Belle" schafft die Balance zwischen Kritik an der englischen Adelsgesellschaft des 18...
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