Rodene Ronquillo
Duncan Jones
Charaktere statt Effekte
Interview: Duncan Jones bleibt sich treu
Mit seinem Independent-Erstling "Moon" konnte Regisseur Duncan Jones Kritik und Publikum begeistern. Im Nachfolger "Source Code" beschert er seinem Hauptdarsteller Jake Gyllenhaal die längsten acht Minuten seines Lebens. Im Interview mit Filmreporter.de berichtet Jones, wie es für ihn war, zum ersten Mal innerhalb von Hollywoods Studio-System zu arbeiten. Des Weiteren erzählt der Sohn von Popmusiker David Bowie, welchen Einfluss sein Vater auf seine Karriere hatte und was ihn mit Berlin verbindet.
erschienen am 2. 06. 2011
Kinowelt
Duncan Jones am Set von "Source Code"
Ricore: Es ist beeindruckend, dass Ihre zweite Regie-Arbeit bereits ein so großes Projekt ist.

Duncan Jones: Es hat wirklich viel Spaß gemacht. Ich wollte unbedingt die Chance haben, einmal einen Hollywood-Film zu drehen. "Source Code" ist ein kleinerer Hollywood-Film, aber immerhin ist er einer. Ich habe nun die Erfahrung gemacht, in einem solchen Rahmen zu arbeiten.

Ricore: Was halten Sie von Jake Gyllenhaal?

Jones: Ich war und bin ein großer Fan von Jake. Dieses Projekt war eine einzigartige Möglichkeit, mit ihm zusammen zu arbeiten, obwohl das Drehbuch nicht von mir selbst stammte. Ich mochte es jedoch und konnte kreativ damit umgehen.

Ricore: Wie schwierig ist es, dieselbe Geschichte immer wieder nur mit kleinen Veränderungen zu erzählen?

Jones: Das war eine Herausforderung. Zunächst las ich das Drehbuch als Unbeteiligter und fand es interessant und unterhaltend. Das zweite Mal las ich es als Regisseur. Ich fragte mich: wo stecken die Probleme? Was sind die Herausforderungen? Eine der größten war der Umgang mit der achtminütigen Zeitreise. Es gab viele Möglichkeiten, diese in einem Zug umzusetzen und die Geschichte frisch zu halten.

Ricore: Welche Schwierigkeiten ergaben sich noch?

Jones: Wenn man es zum ersten Mal als Regisseur liest, ist es einschüchternd. Denn es geht um zwei Leute, die sich immer wieder von neuem gegenüber sitzen. Die Frage war, wie ich eine Situation schaffen konnte, die interessant genug ist, auch wenn sie sich wiederholt. Um diese Frage zu klären, unterteilte ich meine Arbeit in mehrere Abschnitte. Es stellte sich zudem die Frage, wie ich visuell alles verschieden genug halten konnte. Unsere erste Feststellung war, dass wir nicht die Möglichkeit haben werden, in einem echten Zug zu drehen. Wir mussten ihn bauen. Dies war die einzige Möglichkeit, um die Kamera so bewegen zu können, wie ich es für nötig hielt.
Kinowelt
Source Code
Ricore: Wie war es vom kreativen Standpunkt aus innerhalb von Hollywoods Studiosystem zu arbeiten?

Jones: Ich hatte sehr viel Glück. Ein Freund, der auch schon in Hollywood arbeitete, sagte mir wie schwierig es sein kann. Ich war durch Jake Gyllenhaal sehr geschützt, da er schon zu Beginn des Projekts an meiner Seite war. Er war derjenige der wollte, dass ich den Film drehe. Er wollte mir alle Möglichkeiten geben, damit ich drehen konnte, was ich wollte. Außerdem habe ich den Cutter schon in der frühen Vorproduktionsphase ausgesucht. Er ist eine Legende in Hollywood, der für den Schnitt bei "Star Wars" zuständig war und einen Oscar für "Ray" gewonnen hat. Er sagte gleich am Anfang, dass er nicht für die Schauspieler oder Produzenten arbeite, sondern ausschließlich für mich. Er war ein Mann, der zu seinem Wort steht. Dies machte mir die Arbeit wesentlich einfacher.

Ricore: Wie haben Sie Jake Gyllenhaal kennengelernt?

Jones: Ich war auf der internationaler Werbetour für "Moon" auch in Los Angeles. Dort gab es einige Leute, die ich unbedingt treffen wollte. Glücklicherweise wollte Gyllenhaal mich auch treffen, nachdem er "Moon" gesehen hatte. Als wir uns trafen, sprachen wir einfach über Projekte, die wir miteinander machen könnten. Beispielsweise lies ich ihn "Mute" lesen, ein Projekt, dass ich auch Sam Rockwell vorschlug. Genau wie Sam sagte er nein. Stattdessen erzählte er von "Source Code". Daraufhin las ich das Drehbuch und sagte ihm wenige Tage danach, dass ich den Film übernehmen könnte.

Ricore: Wann haben Sie entschieden, Filmemacher zu werden?

Jones: Bereits als kleiner Junge wollte ich Filme drehen. Doch leider hat es sehr lange gedauert, bis es dazu kommen sollte. Ich ging zur Schule und machte meinen Abschluss. Ich versuchte einer kreativen Karriere aus dem Weg zu gehen und wollte Philosophie-Lehrer werden.
Rodene Ronquillo
Duncan Jones
Ricore: Wann begann Ihre Karriere als Regisseur?

Jones: Als ich 28 oder 29 Jahre alt war, besuchte ich eine Filmschule. Vorher arbeitete ich an meiner Doktorarbeit in Philosophie. Doch nach zweieinhalb Jahren entschied ich, dass eine Karriere in der Philosophie doch nichts für mich ist. Von Nashville, Tennessee kehrte ich wieder nach London zurück. Dort fing ich noch mal bei null an.

Ricore: Welche Regisseure haben Ihr Werk inspiriert?

Jones: Meine Vorbilder sind die Regisseure, die visuell beeindruckende Filme schaffen, aber gleichzeitig hervorragende Schauspielerleistungen mit einbringen können. Für mich sind das Luc Besson, Terry Gilliam, David Fincher und Ridley Scott. Von den klassischen Regisseuren Akira Kurosawa. An ihm mochte ich besonders, wie er seine Filme visuell und schauspielerisch gestaltete und gleichzeitig mit einem gewissen Humor unterlegte.

Ricore: Wie hilfreich war es, einen berühmten Vater zu haben, um ins Film-Business zu gelangen?

Jones: Ich habe versucht, es auf meine Weise zu machen. Wie bereits gesagt, vermied ich es zunächst, in kreative Kreise hineingezogen zu werden. Als ich dann in dieses Geschäft hinein kam, versuchte ich so gut es ging zu verheimlichen, dass ich einen bekannten Vater habe. Mit der Zeit kam es dennoch heraus und öffnete mir sogar einige Türen. Jemand sagte mal den treffenden Satz: "Wenn du bekannte Verwandte hast, kann das Türen öffnen. Allerdings sind die Erwartungen an dich besonders hoch, wenn du durch diese Tür trittst." So war es auch für mich. Durch meinen Vater wurden für mich einige besondere Treffen möglich. Allerdings wurden von mir auch Dinge auf einem besonders hohen Niveau erwartet.

Ricore: Haben Sie vor Ihrer Filmkarriere daran gedacht Sänger zu werden?

Jones: Nein [lacht]. Ich hatte nie auch nur die geringste Absicht meine Talente im Musikbereich zu verfolgen, geschweige denn ein Instrument zu lernen. Es war einfach etwas, gegen das ich mich stets weigerte. Mein Vater war etwas frustriert, dass ich kein Instrument gelernt habe. Aber das war halt meine Art der Rebellion [lacht].
Kinowelt
Regisseur Duncan Jones
Ricore: Was würden Sie gerne in Ihrem eigenen Leben verändern, wenn Sie durch die Zeit reisen könnten?

Jones: Bei mir persönlich gibt es natürlich einige Phasen, von denen ich denke, dass ich viel Zeit verschwendet habe und ich es gut finden würde, diese Jahre wieder zurück zu bekommen. Ich werde bald 40 und da überlegt man schon, ob man das ein oder andere weiser hätte gestalten können. Aber gleichzeitig denke ich, dass die Jahre, in denen ich Zeit verschwendet habe, sehr wichtig für die Entwicklung meines Charakters waren. Insofern würde ich in Wirklichkeit nichts verändern wollen.

Ricore: Und was würden Sie in der Weltgeschichte ändern wollen?

Jones: Zeitgeschichtlich gesehen ist das eine andere Sache, auch wenn ich nicht an Zeitreisen glaube [lacht]. Wären sie aber möglich, wäre ich vom Schmetterlings-Effekt überzeugt. Das heißt, eine winzig kleine Veränderung könnte viel größere Auswirkungen haben, als man es je vorhersehen könnte.

Ricore: Was haben Sie am Drehbuch verändert?

Jones: Als ich das Drehbuch las, mochte ich die Struktur. Mir gefiel als Regisseur die Idee, sich gleichzeitig mit Action, Mystery, Science-Fiction und Romantik beschäftigen zu können. Aber das Drehbuch war sehr ernst. Meine erster wichtiger Vorschlag gegenüber Gyllenhaal war, dass man den Film leichter und humorvoller gestalten sollte. Er war etwas überrascht, aber offen für die Idee.

Ricore: Wie oft haben Sie über das Ende des Films diskutiert und es geändert? War es am Ende ein Kompromiss?

Jones: Glücklicherweise waren die Produzenten mit meiner Vision des Endes einverstanden. Das Ende war im Drehbuch wesentlich romantischer, aber zu langweilig.
Koch Media
Moon
Ricore: Der Film hat auch politische Untertöne. So nimmt das Militär das Opfern individueller Rechte von Soldaten beim Kampf gegen den Terrorismus in Kauf. Was halten Sie davon?

Jones: Ich denke, diese Ansicht ist angemessen. Für das Militär ist es ganz normal, dass deren Soldaten zum Schutz der Allgemeinheit ihr Leben aufs Spiel setzen. Das ist die Natur eines Soldaten. Die Frage in "Source Code" ist, wo die Grenzen liegen. Außerdem stellen wir die Frage, ob man quasi in den Besitz des Staates übergeht, wenn man sich zum Militär meldet.

Ricore: In "Moon" beschäftigten Sie sich mit einer Person, die von einer Firma ausgenutzt wird. Ist dieser Konflikt zwischen Individuen und Kollektiven ein Thema, dass Sie generell näher interessiert?

Jones: Definitiv. Speziell in einer Zeit wie heute. Die Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ist wirklich spannend zu beobachten. Das Verhältnis zwischen Autorität und Individuum verändert sich ständig. Sie werden nicht überrascht sein, dass es auch in meinem nächsten Science-Fiction um Individuen und ihr Verhältnis zu Autoritäten geht, für die sie arbeiten [lacht].

Ricore: Welcher Science-Fiction wird Ihr nächstes Projekt?

Jones: Es ist wirklich eine sehr interessante Geschichte, über die ich mit Ihnen leider noch nicht reden kann.

Ricore: Haben Sie ein besonderes Faible für Science-Fiction?

Jones: Ich bin ein großer Fan. Aber ich finde auch andere Genres interessant. Science-Fiction ist eine meiner Interessen, aber nicht meine einzige.
Rodene Ronquillo
Duncan Jones
Ricore: Ihre Filme sind auch Social-Fictions...

Jones: Ich denke, das ist einer der Gründe, weshalb es für mich leichter sein könnte, zwischen den Genres zu wechseln. Mit "Moon" und "Source Code" bin ich für meine gute Arbeit mit Schauspielern bekannt geworden sowie meine Konzentration auf ausgefeilte Charaktere. Das sind Fähigkeiten, die man gut in andere Bereiche übertragen kann. Wäre ich ein Regisseur von Filmen mit extrem vielen Spezial-Effekten, wäre es vermutlich schwerer, das Genre zu wechseln.

Ricore: Wie ergab sich Ihr Interesse für Science-Fiction?

Jones: Ich bin seit der Kindheit Science-Fiction-Fan. Während ich aufwuchs, zeigte mir mein Vater "Metropolis" von Fritz Lang und "Star Wars". Bei uns gab es eine Art Gesetz, dass man täglich abends eine Stunde zusammen las. Wenn ich nicht schlafen konnte oder mir die Sachen zu langweilig waren, gab er mir etwas Science-Fiction. Beispielsweise George Orwells "1984" oder "Animal Farm - Aufstand der Tiere".

Ricore: Welches ist Ihr Lieblingsfilm?

Jones: "Der Blade Runner".

Ricore: Und was halten Sie von "Zurück in die Vergangenheit"? Im Film gibt es ja eine Hommage an diese Serie.

Jones: Ich bin erstaunt, dass Sie das erkennen. Normalerweise synchronisiert man in Deutschland Filme, oder? Deswegen sollte man den damaligen deutschen Synchronsprecher von Scott Bakula die Rolle als Jakes Vater im Film sprechen lassen. Ansonsten würde die Anspielung im deutschsprachigen Raum nicht funktionieren.

Ricore: War die Anspielung Ihre Idee?

Jones: Ich kam darauf, als ich das Drehbuch las. Ben Ripley hat eine sehr gute Arbeit geleistet, indem er diese verschiedenen Science-Fiction-Ideen aus Film und Fernsehen mit eingebracht hat. Die angesprochene Szene, als Jake in den Spiegel schaut und merkt, dass er jemand anderes ist, war eine große Sache für mich. Statt diesen Aspekt aus der Serie zu ignorieren, wollte ich diesem Moment Respekt zollen. Ich habe mit Scott Bakula gesprochen, der eine wirklich tolle Stimme hat. Ich dachte, er hat das richtige Alter um Jakes Vater zu sein. Er hat richtig gute Arbeit geleistet. Den Ausspruch "Oh, Mann", den er immer wieder in "Zurück in die Vergangenheit"gesagt hat, sagt er auch im Film. Aber der Großteil der Zuschauer wird das überhaupt nicht merken.
Rodene Ronquillo
Duncan Jones
Ricore: Sie scheinen auch ein Faible für das Lied "I am the one and only" zu haben...

Jones: Das ist meine eigene Art von Alfred Hitchcock-Silhouette im Film [lacht]. In Großbritannien war das Lied ein großer One-Hit-Wonder. Es war passend, ihn vorher für "Moon" zu nutzen. "I am the one and only" war die Liedzeile, die wir nutzten. Wir dachten darüber nach, was wir in "Source Code" als Klingelton verwenden konnten. Es erschien uns sehr passend, dieselbe Liedzeile für einen egoistischen Freund in "Source Code" einzusetzen. Nun muss ich den Song künftig in jedem Film nutzen.

Ricore: Ihr geplanter Film "Mute" soll ja in Berlin spielen. Wann waren Sie das erste Mal in Berlin und wie gefällt Ihnen die Stadt?

Jones: Sehr gut. Ich habe hier in den 1970ern gelebt, als es noch den Kalten Krieg gab. Es war erschreckend. Man hatte immer Angst vor Sowjets, speziell in Berlin. Ich lebte mit meinem Vater in Schöneberg, während er hier arbeitete. Als ich zur Vorbereitung von "Mute" nach Berlin kam und die alten Gebäude sah, die nun als Clubs genutzt werden, war ich sehr aufgeregt. Wenn Berlin sich in 15 Jahren so sehr verändern konnte und vielleicht in den nächsten 20 Jahren noch schneller verändert, wäre das der richtige Platz, um ein Science-Fiction zu drehen.

Ricore: Sprechen Sie noch deutsch?

Jones: Nein. Ich war sechs oder sieben, als ich hier lebte. Wenn ich "Mute" drehe, werde ich bis zu einem Jahr lang hier sein. Ich bin sicher, dass ich mich dann besser erinnern werde.

Ricore: Worum wird es in "Mute" gehen?

Jones: Die Geschichte wird in der Unterwelt des zukünftigen Berlin spielen. Es geht um einen Mann, dem es aus kulturellen Gründen nicht erlaubt ist, zu sprechen. Er arbeitet in einem Nachtclub, als seine Freundin plötzlich verschwindet. Daraufhin begibt er sich auf die Suche nach seiner verschwundenen Freundin.

Ricore: Wann werden Sie nach Berlin kommen, um den Film zu drehen?

Jones: Wir müssen erst einen Weg finden, den Film realisieren zu können. Es ist noch ein langer Weg. Wir müssen das Projekt finanzieren und passende Schauspieler finden. Wir müssten einen bekannten Künstler einbinden, um das Projekt zu finanzieren. Zudem gehen wir das Risiko ein, dass der Protagonist nicht spricht. Es ist schwierig, einen bekannten Schauspieler davon zu überzeugen, so einen Film zu machen. Deswegen muss die Geschichte besonders überzeugend sein.

Ricore: Da uns gerade auch die Zeit ausgeht, noch folgende letzte Frage: Was würden Sie machen, wenn Sie wie Ihr Held in "Source Code" nur noch acht Minuten zu leben hätten?

Jones: Ich würde diese Zeit Ihnen zur Verfügung stellen, damit Sie mir noch weitere Fragen stellen könnten [lacht].

Ricore: Das fände ich gut. Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 2. Juni 2011
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Source Code (Kinofilm)
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