Constantin Film
Regisseur Marcus H. Rosenmüller
"Im Zeitalter des schlechten Designs"
Interview: Nostalgisch: Marcus H. Rosenmüller
Nach "Sommer in Orange" kommt mit "Sommer der Gaukler" bereits der zweite Film von Marcus H. Rosenmüller innerhalb eines Jahres in die Kinos. Trotz dieser Arbeitswut sei er dennoch kein Besessener, wie der Filmemacher im Interview mit Filmreporter.de verriet. Es treibe ihn lediglich die reine Lust am Filmemachen an. Außerdem sprachen wir mit dem 38-Jährigen über die Rockstars des 18. Jahrhunderts und klärten die Frage, warum in seinen Filmen niemals Handy oder Computer zu sehen sind.
erschienen am 20. 12. 2011
Movienet/24 Bilder
Sommer der Gaukler
Ricore: Herr Rosenmüller, "Sommer der Gaukler" ist nach "Sommer in Orange" bereits der zweite Film, den Sie dieses Jahr in die Kinos bringen. Sind Sie ein Workaholic?

Marcus H. Rosenmüller: (lacht). Nein, es ist einfach nur die Lust am Filmemachen. Ich kriege die Drehbücher zugeschickt, sage zu und mache die Filme. Oft diktieren auch die äußeren Bedingungen den Arbeitsprozess. Manchmal gibt es für ein Projekt kein Geld, sodass wir ein anderes vorziehen müssen. Das Drehbuch von "Sommer der Gaukler" gab es schon vier Jahre. Die ursprüngliche Fassung war viel opulenter, so dass die Drehbuchautoren immer wieder dran herumwerkeln mussten und dabei vieles gekürzt haben. Der Film hatte also eine sehr lange Entstehungszeit.

Ricore: Ist es üblich, dass sich ihre Filme noch während des Arbeitsprozesses verändern?

Rosenmüller: Ja, ich bin kein Schreibtischmensch. Sobald ich mit kreativen Leuten zusammenkomme, entstehen durch die Arbeit und die Kommunikation mit ihnen neue Ideen. Vor Ort passiert bei mir viel mehr, als hinter dem Schreibtisch. Es ist für mich wichtig, Filme zu drehen und nicht, sie zu planen. Ich bin kein guter Planer. Auch die Dialoge entstehen oft auf dem Set und selbst die Charaktere verfestigen sich erst im Laufe der Proben. Überhaupt versuche ich bei jedem Film zu Proben, weil hier etwas passiert, was man nicht voraussehen kann.

Ricore: Was reizte Sie am Stoff von "Sommer der Gaukler"?

Rosenmüller: Ich las das Drehbuch vor vielen Jahren zum ersten Mal. Dabei faszinierte mich von Anfang an der Charakter Emanuel Schikaneders. In der unkonventionellen Art, wie er die Welt betrachtete, sah ich in ihm durchaus ein Vorbild. Anfangs war er mir noch kein Begriff. Ich wusste nur, dass er das Libretto zu Mozarts "Die Zauberflöte" verfasste. Je mehr ich mich mit ihm beschäftigte, umso deutlicher sah ich, dass er ein Besessener war. Schikaneder war ein Künstler mit einer großen Lust für das Opulente, der viele ungewöhnliche Sachen auf der Bühne ausprobierte. Obwohl er von der Kritik verrissen wurde, hat er für seine Vision vom Theater gekämpft. Diese Begeisterung und die Lust, mit der er unbeirrt an seine Arbeit ging, fand ich einfach großartig.
Movienet/24 Bilder
Marcus H. Rosenmüller und Hauptdarsteller Max von Thun am Set von "Sommer der Gaukler"
Ricore: Wie Mozart in Milos Formans "Amadeus" zeigen Sie Schikaneder als unkonventionellen "Rockstar" des 18./19. Jahrhunderts. Wie erklären Sie sich die Beliebtheit der Künstler damals bei jungen Menschen?

Rosenmüller: Vielleicht weil Sie etwas völlig neues zum Ausdruck brachten und auf das Volk eingingen. Es war plötzlich etwas da, das es vorher nicht gegeben hatte. Die Menschen erkannten, dass das, was die Künstler ansprachen, ihr Leben betraf. Oft hatte das Identifikationsmoment aber auch negative Züge, wenn sich etwa junge Menschen nach dem Vorbild von Goethes "Werther" das Leben nahmen. Heute wird diese Sehnsucht nach Vorbildern gesteuert, um Geld damit zu verdienen.

Ricore: Die Besetzung der Hauptrolle mit Max von Thun ist sehr passend. Wie kam es dazu?

Rosenmüller: Das hat sich recht einfach gestaltet. Er hat vorher in Hans W. Geißendörfers "In der Welt habt ihr Angst" mitgespielt und der war so begeistert von ihm, dass er ihn mir empfohlen hat. Max hat vorgespielt und wir wollten ihn haben).

Ricore: Von Thun gehört einerseits einem Adelsgeschlecht an, andererseits haftet ihm der Ruf des Rebellischen an. Hat dieser Aspekt bei der Besetzung eine Roll gespielt?

Rosenmüller: Nein, überhaupt nicht (ruft scherzhaft laut durch den Raum, wo sich am Nebentisch auch von Thun aufhält): "Der Adelstitel ist doch eh gekauft" (lacht). Nein, es war nur die Art, wie er den Part vorgetragen hat: das Spielerische und dieser Schalk im Nacken haben mich überzeugt.

Ricore: Ein wichtiges Thema von "Sommer der Gaukler" ist der Einfluss, den das Leben auf die Kunst ausübt. Wie weit spielt die Welt um Sie herum in ihre Arbeit hinein?

Rosenmüller: Mein Leben und meine Stimmung finden sich natürlich in meinen Filmen wieder. Die Themen meiner Filme sind Themen, die mich auch als Mensch interessieren: Wie gehen Menschen miteinander um? Die Ängste der Menschen aber auch tröstende Momente und der Humor sind Teil meiner Arbeit. Wie Joachim Ringelnatz und Helmut Käutner reizt auch mich der liebevolle Blick auf die Welt. Diese Anschauung möchte ich auf jeden Fall beibehalten und ich hoffe, dass ich meinen kleinen Beitrag leisten kann, diese Sichtweise in die Welt zu tragen. Andererseits bin ich nicht so naiv, um nicht zu wissen, wie die Welt tatsächlich ausschaut.
Majestic Filmverleih
Marcus H. Rosenmüller beim Dreh von "Sommer in Orange"
Ricore: In diesen Kontext würde in gewisser Weise auch das Etikett passen, dass Sie zu den neuen deutschen Heimatfilmern gehören. Dennoch ist ihr Blick auf die heimatliche Idylle niemals ohne Brüche. Die Menschen in ihren Filmen leben in einer Art sozialen Enge und sehnen sich nach Freiheit und Selbsterfüllung.

Rosenmüller: Auf gewisse Filme trifft das tatsächlich zu. "Beste Zeit" und "Beste Gegend" etwa handeln von Menschen, die zwar in einer Region wohlbehütet leben, die aber trotzdem von etwas Aggressivem beherrscht werden, das ausbrechen will. Trotz der Obhut und des Harmonischen spüren Sie eine Enge und eine Sehnsucht nach Befreiung. Sie wollen ausbrechen in die große Welt, interessieren sich für die großen Fragen des Lebens. Es geht mir um die Vertreibung aus dem Paradies. Obwohl meine Filme in Bayern spielen, ist dieser Konflikt universell.

Ricore: Findet sich dieses Thema auch in "Sommer der Gaukler"?

Rosenmüller: In "Sommer der Gaukler" landet Schikaneder eher durch Zufall von der großen Welt Nürnbergs in einem kleinen Bauerndorf. Dieses Dorf ist einerseits zwar ein rückständiger Ort, in dem aber bereits vorrevolutionäre Gedanken die Runde machen. Doch auch diesen Film betrachte ich nicht unbedingt unter dem Aspekt des Heimatfilms. Die heimatlichen Motive sind bloß Zutaten für universellere Fragen.

Ricore: Sind diese Zutaten andererseits vielleicht der Grund für den andauernden Erfolg ihrer Filme? Spiegeln sie nicht die Sehnsucht des Zuschauers nach dem Überschaubaren gerade vor dem Hintergrund einer immer komplexer werdenden Welt?

Rosenmüller: Ich glaube, es ist eher das menschliche Element, das die Zuschauer interessiert. Ich stelle in meinen Filmen niemanden bloß. Gleichzeitig werfe ich durch meine Protagonisten Fragen auf, die sich auch die Menschen oft stellen.

Ricore: Eine Tendenz in ihrer Arbeit sind historische Stoffe. Was reizt Sie an der Vergangenheit?

Rosenmüller: Ich finde, dass wir in einem Zeitalter des schlechten Designs leben. Unsere Autos, unsere moderne Architektur sind meiner Meinung nach eine Katastrophe. Die Gegenwart ist ästhetisch vielfach einfach nur grauenvoll. Ich sehe in unserer Ästhetik Krempel. Das mag der Grund sein, wieso ich mit meinen Filmen zur Vergangenheit tendier. Ich bin ein Nostalgiker. Ich glaube, in keinem meiner Filme gibt es ein Handy oder einen Computer zu sehen. Diesen Dingen haftet meiner Ansicht nach etwas Unfilmisches an.
Constantin
Marcus H. Rosenmüller am Set von "Beste Zeit"
Ricore: Weltanschaulich nannten sie Käutner als einen ihrer Vorbilder. Stilistisch scheinen Sie aber andere Wege zu gehen. Formal sind Ihre Filme sprunghafter, vielfältiger und spielerischer als die eher homogenen Filme Käutners.

Rosenmüller: Dennoch sehe ich mich nicht als modernen Filmemacher. Ich bin eher altmodisch. Opas Kino reloaded, wie ein Kritiker mich einmal treffend kritisierte. Es stimmt schon, dass sich in meinen Filmen viele Genremuster finden. Aber ich denke, das ist weniger Ergebnis eines Kalküls als vielmehr der Intuition.

Ricore: Am Ende von "Sommer der Gaukler" gibt es die schöne Szene, in der sich Schikaneder und Mozart über die Tiefe und den Ernst in der Kunst unterhalten: "Alles überbewertet", lautet die Antwort Mozarts. Worauf es ankomme, sei die Musik.

Rosenmüller: (lach) Ja, diesen Satz liebe ich und ich wollte ihn unbedingt im Film haben. Ich liebe die Freiheit beim Filmemacher. Ich sah vor kurzem "Dreiviertelmond" und war davon begeistert. Ein klarer und schöner Film, der wie aus einem Guss scheint. Genau wie Käutner. Ich fragte mich, warum ich nicht einen ernsthaften Film machen kann, in dem trotzdem Menschlichkeit, Traurigkeit und Witz enthalten sind. Ich stellte fest, dass das nicht meine Sache wäre. Wenn ich an einer Szene arbeite, fallen mir immer wieder weitere Ideen ein. Vielleicht ist es einfach nur die Lust am Witz, die meinen Filmen den Stempel aufdrückt. Ich erzähle einfach gerne platte Witze (lacht). Die erzähle ich dann so, dass der Film doch noch irgendwie Sinn macht. Stimmt schon, Käutner ist im Vergleich zu mir ernsthafter und künstlerischer. Diesen Anspruch habe ich tatsächlich nicht. "Sommer der Gaukler" ist eine skurrile, tiefgründige Slapstick-Komödie.

Ricore: Viele Zuschauer warten auf den dritten Teil der "Beste"-Trilogie. Wann dürfen sie damit rechnen?

Rosenmüller: Wann, kann ich noch nicht sagen. Aber, dass wir wollen, dass er kommen wird, steht schon mal fest. Wir arbeiten gerade am Drehbuch, dann schauen wir weiter. Zunächst möchte ich einen Film mit meiner eigenen Produktionsfirma machen. Dafür suche ich gerade nach dem geeigneten Stoff.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 20. Dezember 2011
Zum Thema
Marcus H. Rosenmüller beginnt 1995 sein Studium an der Wer früher stirbt, ist länger tot" erstmals das Kinopublikum auf sich aufmerksam. Für das Werk erhält der Regisseur und Drehbuchautor unter anderem den Schwere Jungs", "Räuber Kneißl", "Sommer in Orange" und "Sommer der Gaukler" profiliert sich Rosenmüller als einer der interessantesten jungen Regisseure Deutschlands. 2014 schließt er mit "Beste Chance" seine wunderbare "Beste"-Trilogie ab, die sich durch einen ruhige, fast kontemplativen..
Theaterdichter und Lebemann Emanuel Schikaneder (Max von Thun) möchte mit seiner Wandertruppe nach Salzburg reisen, wo sie vor Wolfgang Amadeus Mozart spielen und endlich entdeckt werden wollen. Weil ihnen in der Musikmetropole die Einfahrt verweigert wird, müssen sie mit dem einfachen Publikum in einem Bergdorf vorlieb nehmen. Hier glaubt Schikaneder im Konflikt zwischen Arbeitern und dem Bergwerkbesitzer den Stoff seines Lebens gefunden zu haben. Marcus H. Rosenmüller "Sommer der Gaukler"..
2024