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Lisa Potthoff und Max von Thun in "Sommer der Gaukler"
Normaler Arbeitsehrgeiz?
Feature: Marcus H. Rosenmüllers Gaukler
Nach "Sommer in Orange" bringt Marcus H. Rosenmüller einen weiteren Film binnen eines Jahres in die Kinos. "Sommer der Gaukler" ist eine witzige, vor Fantasie überbordende Komödie, in der Rosenmüller einen komplexen kunsttheoretischen Diskurs in einen äußerst unterhaltsamen Stoff verpackt.
erschienen am 19. 11. 2011
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Dekadente Genies? Emanuel Schikaneder (Max von Thun) und Wolfgang Amadeus Mozart (Florian Teichtmeiste)
Ganz normaler Arbeitsehrgeiz?
Er gehört zu den produktivsten Filmemachern Deutschlands: Marcus H. Rosenmüller. Sieben Kinofilme hat der Regisseur und Drehbuchautor seit seinem von Kritiker und Publikum gefeierten Debüt "Wer früher stirbt, ist länger tot" realisiert. Nun kommt mit "Sommer der Gaukler" der achte in die Kinos, während Rosenmüller bereits an weiteren Projekten arbeitet: der Kriminalkomödie "Pension Freiheit", die er gemeinsam mit Markus Kleinhans inszeniert, sowie dem lang erwarteten dritten Teil seiner "Beste"-Trilogie "Beste Chance". Man kann diesen Arbeitseifer auf eine Besessenheit zurückführen, wie man sie im deutschen Kino zuletzt bei Rainer Werner Fassbinder beobachtet hat. Rosenmüller selbst bezeichnete seine Produktivität indes einfach nur als "ganz normalen Arbeitsehrgeiz".
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Marcus H. Rosenmüller und Hauptdarsteller Max von Thun am Set von "Sommer der Gaukler"
Gebrochener Heimatfilm
Gattungstechnisch wird Rosenmüller seit dem Erstling in die Kategorie des neuen deutschen Heimatfilms eingeordnet. Neben Regisseuren wie Thomas Kronthaler ("Die Scheinheiligen", 2001), Hans Steinbichler ("Hierankl", 2003) und Stefan Betz ("Grenzverkehr") sind auch seine Filme meist in der bayerischen Provinz angesiedelt. Anders als beim Heimatfilm der 1950er und 60er Jahre ist das Regionale bei Rosenmüller nicht ohne Brüche. Sein Bayern kann von einer bedrückenden Enge sein, in dem sich eine um sich greifende "soziale Kontrolle" (Film-Dienst) vor allem jungen Menschen in ihrem Freiheitsdrang und dem Streben nach Selbstverwirklichung in den Weg stellt. Auf der anderen Seite präsentiert sich die Heimat bei Rosenmüller als überschaubarer Kosmos, dessen 'Bilderbuchlandschaft' dem Menschen innerhalb der um sich greifenden Globalisierung "Geborgenheit, Nähe und Vertrauen bietet" (Film Dienst).
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Wirt Kolbrer (Martin Weinek) freut sich über jeden zahlenden Gast
Überdimensionierte Ideen
In Rosenmüllers Komödie "Sommer der Gaukler" ist zunächst alles überdimensioniert: Sie handelt nicht nur von großen Ideen, großen Zielen und großen Künstlern, die von namhaften Schauspielern und Theatermachern bis hin zum Genius eines Wolfgang Amadeus Mozart reichen. Er setzt auch an einem Ort an, deren Bretter, wie es so profan heißt, die Welt bedeuten. Eines dieser Theater, oder besser ein Wandertheater besitzt Emanuel Schikaneder - wunderbar verkörpert von Max von Thun. Er legt den Dichter wie einst Tom Hulce seinen Mozart in "Amadeus" als liebenswürdigen Schelm und Halodri an. Einst sollte der Schauspieler, Theatermacher, Dichter und leidenschaftlicher Lebemann mit seinem Libretto zu Mozarts berühmter Oper "Die Zauberflöte" weltberühmt werden. Doch noch lässt der Erfolg auf sich warten. In Rosenmüllers herrlich zwischen Fakten und Fantasie schwankender Biografie des Künstlers schreiben wir das Jahr 1780. Es ist die Zeit unmittelbar die vor der Bekanntschaft Schikaneders mit dem Komponisten, ihrem gemeinsamen Geniestreich, dem Weltruhm liegt.
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Max von Thun in "Sommer der Gaukler"
Von der Provinz in dei Provinz...
Und so wandert der Theatermacher mit seiner Truppe von Provinz zu Provinz, wo ihre Darbietungen auf ein immer kleiner werdendes Publikum stoßen. Ihr Ziel ist Salzburg, wo sie vor Mozart spielen und endlich den Durchbruch zu schaffen hoffen. Nur diese Aussicht hält die wegen des ausbleibenden Erfolgs und dem ständigen Geldmangel zerstrittene Truppe zusammen. Als ihnen die Einreise in die Stadt jedoch verweigert wird, nehmen sie mit einem kleinen Bergdorf nahe der österreichischen Grenze vorlieb - wo Rosenheimer also wieder dort landet, wo er sich am wohlsten fühlt: in der Provinz. Auch wenn die Enttäuschung Schikaneders zunächst groß ist, schöpft er bald wieder Hoffnung. Denn vor seiner Tür spielt sich ein soziales Drama epischen Ausmaßes ab, das er in ein Stück verdichten und damit die Welt des Theater von Grund auf umkrempeln will. Doch die Zeit drängt. Nicht nur der Wirt ihrer Behausung pocht auf sein Geld, auch bei seinen Schauspielern macht sich immer stärker Unmut über die die finanzielle Situation breit.
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Popstar des 18. Jahrhunderts: Wolfgang Amadeus Mozart (Florian Teichtmeister)
Das Leben ist eine Bühne
Die Bühne ist das Leben, das Leben ist eine Bühne. Dieses Thema zieht sich wie ein Leitfaden durch Marcus H. Rosenmüllers "Sommer der Gaukler", das der Regisseur virtuos und einfallsreich mit immer neuen Volten zu variieren weiß. Bereits im Prolog wird der illusionistische Charakter des Theaters illustriert. In einem dichten Wald reitet ein Mann zu Pferd. Er eilt an einen Ort, wo eine Frau hingerichtet werden soll. Als er die Hinrichtungsstätte erreicht, ist es bereits zu spät, von einem Versteck aus muss er hilflos zusehen, wie die Frau ertränkt wird. An dieser Stelle entlarvt Rosenmüller das Geschehen als Illusion. Es ist nicht Wirklichkeit, sondern die Aufführung eines Stückes von Emanuel Schikaneder, dessen Variation des Trauerspiels um Agnes Bernauer.
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Drugs, Sex - und Theater: "Sommer der Gaukler"
Das Leben ist Theater
Während das Theater die Welt bedeutet, ist das Leben ganz Theater. Auch dafür findet Rosenmüller aussagekräftige Bilder. Als die Truppe um Schikaneder auf dem Weg nach Salzburg ist, begegnen sie einer jener 'Szenen' im Leben. Da will sich ein junger Mann in bester Werther-Manier von einem Felsen stürzen, landet jedoch statt auf dem harten Boden im weichen Schoß einer Frau. Nicht den Tod findet er, sondern die Liebe und so auch ins Leben zurück. Eine Szene aus einem Roman könnte das sein, einem der Stücke Schikaneders, Friedrich Schillers oder aus Johann Wolfgang von Goethes "Werther" - und der junge Mann las vor dem Selbstmordversuch tatsächlich "Die Leiden des jungen Werther". So realistisch die Literatur, das Theater, die Kunst sein können, so sehr sie auf die Wirklichkeit verweisen, so fantastisch und wie erfunden kann das Leben sein.
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Die Welt ist eine Bühne in "Sommer der Gaukler"
Genrewechsel
Dieses besteht aus einer Aneinanderreihung von Illusionen und Trugbildern, von Verleugnungen der Wahrheit, die zu sehen sich das Auge weigert, weigern muss, um die Niederungen des Leben zu ertragen. Was Nietzsche einst zum Thema seiner Philosophie machte, das setzt Rosenmüller in Gestalt seiner Bergarbeiter in Bildern um. Da wird in einem harmlosen, naiven, wenn nicht gar ein wenig dümmlichen Arbeiter ein Revolutionsführer gesehen und sein eigentlicher Charakter verleugnet. Die Menschen erliegen der Illusion um der Hoffnung willen und um der Wahrheit zu entfliehen. Rosenmüller akzentuiert das Theatralische in der Welt durch eine betont illusionistische Inszenierung, indem er aus heiterem Himmel das Genre wechselt. Von einer heiteren Komödie wird "Sommer der Gaukler" zu einem Musical, in dem die Arbeiter unvermittelt zu tanzen und zu singen anfangen - als Ausdruck ihrer Gefühle, Ängste und Hoffnungen. In einer späteren Szene - der Befreiung Schikaneders durch Babette (Anna Maria Sturm) - greift Rosenmüller erneut zu diesem Stilmittel. Nicht zufällig hier, kann die Befreiungsaktion nur doch gelingen, indem dem Besitzer des 'Kerker'-Schlüssels ein Schmierentheater vorgetäuscht wird.
Tzveta Bozadjieva/Ricore Text
Marcus H. Rosenmüller
Leben und Kunst
Rosenmüller macht in unzähligen amüsanten Variationen unmissverständlich deutlich, dass sich die Sphären des Lebens und der Kunst gegenseitig bedingen. So ist es kein Zufall, dass er den missglückten Selbstmordversuch am Felsen mit der just in dem Moment am Geschehen vorbeifahrenden Truppe parallel schneidet. Es findet ein Prozess der wechselseitigen Durchdringung einer Begegnung statt. Wie sich das Leben von der Kunst beeinflussen lässt, so sehr steht auch die Kunst unter dem Eindruck des Lebens.

In einer weiteren Szene kommt dies zum Tragen. Als Schikaneder den im Dorf schwelenden Konflikt zwischen dem Proletariat und der ausbeuterischen Bourgeoisie auffällt, wird er zu einem Revolutionsdrama inspiriert. Umgekehrt spornt der Schriftsteller den vermeintlichen Arbeiterführer zur Tat an. Nicht jammern solle er, der Vertreter des einfachen, hart arbeitenden Volkes, sondern handeln und für seine Rechte kämpfen. Daraufhin gibt der Arbeiter dem Dichter und Denker eine Lehre für die Kunst. Der Mensch ist ein Mensch. So einfach ist das Leben um uns herum, so einfach kann und soll die Kunst sein.

Diese Weisheit übermittelt ihm später auch Mozart, dem Schikaneder endlich nach einer langen Odyssee, die ihn bis zur dekadenten Adelsgesellschaft führt, begegnet. Seinem neuen Stück fehle noch etwas, so der von seinem Genie sonst so überzeugende Theatermacher, nämlich der Ernst und die Tiefe. Nein, gibt ihm der Komponist zur Antwort, das einzige worauf es ankomme, sei die Musik. Diese einfache Erkenntnis führt Rosenmüller in seinem eigenen Film vor, einer verspielten, leichten, in ihrem Einfallsreichtum überbordenden und vor allem höchst unterhaltsamen Komödie.
erschienen am 19. November 2011
Zum Thema
Theaterdichter und Lebemann Emanuel Schikaneder (Max von Thun) möchte mit seiner Wandertruppe nach Salzburg reisen, wo sie vor Wolfgang Amadeus Mozart spielen und endlich entdeckt werden wollen. Weil ihnen in der Musikmetropole die Einfahrt verweigert wird, müssen sie mit dem einfachen Publikum in einem Bergdorf vorlieb nehmen. Hier glaubt Schikaneder im Konflikt zwischen Arbeitern und dem Bergwerkbesitzer den Stoff seines Lebens gefunden zu haben. Marcus H. Rosenmüller "Sommer der Gaukler"..
Irgendwann hatte der Sohn von Schauspieler Friedrich von Thun einfach keine Lust mehr auf Familie. Max ging in ein englisches Internat und machte sein Abitur auf der Insel. Seinen ursprünglichen Plan, Regisseur zu werden, gab er bald danach auf und wurde Schauspieler. Der 1,93 Meter große Münchner ist seit 1997 in zahlreichen TV-Produktionen zu sehen. Er ist außerdem Sänger und Gitarrist der Band "77", die nach seinem Geburtsjahr benannt ist.
Marcus H. Rosenmüller beginnt 1995 sein Studium an der Wer früher stirbt, ist länger tot" erstmals das Kinopublikum auf sich aufmerksam. Für das Werk erhält der Regisseur und Drehbuchautor unter anderem den Schwere Jungs", "Räuber Kneißl", "Sommer in Orange" und "Sommer der Gaukler" profiliert sich Rosenmüller als einer der interessantesten jungen Regisseure Deutschlands. 2014 schließt er mit "Beste Chance" seine wunderbare "Beste"-Trilogie ab, die sich durch einen ruhige, fast kontemplativen..
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