20th Century Fox
Far Cry
Kein Engel, aber nah dran
Interview: Udo Kier über die Filmindustrie
"Um den Teufel zu spielen, muss man ein Engel sein". Udo Kier muss es wissen. In über 100 Filmen hat er das Diabolische auf der Leinwand verkörpert. Dank Rollen in "Dracula.3000" oder "Suspiria - In den Krallen des Bösen" hat der gebürtige Kölner Kultstatus erlangt. Seit 16 Jahren lebt er in Los Angeles. Wenn er müde ist, kommt sein kölscher Dialekt zum Vorschein. An diesem Tag ist unser Gespräch nicht das erste Interview. Während er sich an der Minibar bedient, überlegt er laut, welche alten Geschichten die Fragen in ihm aufwirbeln. Wir wollten auch wissen, was ihn so besonders an der Videospielverfilmung von "Far Cry" reizte.
erschienen am 9. 10. 2008
20th Century Fox
Far Cry
Ricore: Sind Sie der Rolle des Bösewichts nicht bald überdrüssig?

Udo Kier: Nein. Ich überlege mir jedes Mal genau, wie ich meine Rollen spiele. Dem Bösen sind generell keine Grenzen gesetzt. Man überlegt sich, was noch keiner gemacht hat. Beispielsweise, ob man in Großaufnahme eine Fliege zerquetscht, sodass einem dabei schlecht wird. Das Böse macht mir Spaß. Privat bin ich gar nicht böse. Ich bin eher das Gegenteil: Ich pflanze Bäume, koche für Freunde, beim Einkaufen rieche ich an einer Tomate eine halbe Stunde lang herum oder rette herrenlosen Hunde das Leben.

Ricore: Wie stehen Sie persönlich zu Videospielen?

Kier: Ich habe noch nie ein Computerspiel gespielt, obwohl ich bei zwei mitgemacht habe. "Yuri's Revenge" und "Red Alert 2" - zwei bekannte Videospiele. Ich weiß nicht, wie man sie spielt. Ich hab auch noch nie eine Textnachricht verschickt oder eine SMS gelesen. Ein Freund hat neulich gesagt, dass ich Nachrichten von vor über drei Jahren auf meinem Handy habe. Ich bin technisch nicht interessiert. Aber das muss auch nicht sein.

Ricore: Hatten Sie keine Bedenken vor der Zusammenarbeit mit Uwe Boll?

Kier: Es war nicht mein erster Film mit ihm. Wir hatten schon "BloodRayne" gemacht. Ich fragte ihn erstmal nach dem restlichen Cast. Wenn Ben Kingsley oder Michael Madsen mitspielen, denke ich mir "Wieso sollte ich nicht dabei sein?" Ich habe das Buch gelesen und es hat mit gefallen. Til und Ralf kenne ich schon lange und es war ein schönes Treffen. Dann habe ich mir Musik dazu überlegt, damit die Figur nicht so oberflächlich ist. Ich dachte an eine James-Bond-Imitation, so dass es auch ein bisschen lustig ist. Ich weiß nicht, wie es geklappt hat. Ich habe den Film noch nicht gesehen. Til sagt, es sei ein B-Movie. Ich habe aber niemals einen Film gemacht, von dem ich von Anfang an gewusst habe, dass es ein B-Movie sei. Ich habe auch nie Trash gemacht. Das heißt ja Abfall. Natürlich ist mir klar, dass es kein Lars von Trier Film ist. Aber man kann das eine und das andere machen. Laut Internet habe ich 180 Filme gemacht. Also ich habe eine gewisse Freiheit. Ich bin auch kein junger Schauspieler und muss niemandem etwas beweisen.
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Far Cry
Ricore: Gibt es dennoch eine Rolle, die Sie nicht spielen würden?

Kier: Ich habe mich jahrelang geweigert, einen Nazi zu spielen. Ich habe zwar zweimal Hitler in Komödien gespielt. Einmal unter der Regie von Christoph Schlingensief und ein zweites Mal in London. In Tarantinos "Grindhouse" habe ich auch einen Nazi gespielt. Sonst ist es einfallslos, wenn Deutsche in Hollywood Nazi spielen. Ich würde sonst keine Sachen machen, die mich körperlich in Gefahr bringen würden. Extreme Rollen schrecken mich nicht ab. Es gibt sowohl kommerzielle, wie künstlerische Filme, die in die Geschichte eingehen. Alles ist Geschmackssache. Ich glaube nicht, dass Uwe von sich behaupten würde, dass er ein Superregisseur ist. Aber ich finde es toll, dass er sich einen Traum erfüllen und mit Ben Kingsley drehen kann. In Amerika, wenn man nicht gerade Bruce Willis oder Anthony Hopkins ist, machen die Schauspieler alles fürs Geld. Wenn die Filme nicht gut sind, kommen sie auch nicht ins Kino. Das ist auch eine USA-typische Einstellung. Wenn man in die Videothek geht, wundert man sich über so viele unbekannte Filme. Zum Teil auch mit Julia Roberts oder ähnlichen Stars.

Ricore: Sie haben Ihre Zusammenarbeit mit Christoph Schlingensief angesprochen. Er hat eine ganz spezielle Filmästhetik. Haben Sie das in "Far Cry" nicht vermisst?

Kier: Ich habe vor vielen Jahren mit Christoph Schlingensief und Tilda Swinton "Egomania - Insel ohne Hoffnung" gedreht. Er war immer seiner Zeit voraus. Er provoziert natürlich gerne. Aber Fassbinder, Kinski oder Herzog haben es auch gemacht. Provokation heißt auf sich aufmerksam machen. Mir fehlt nichts. Ich kann den nächsten Film mit Fatih Akin machen, danach drehe ich mit Guy Maddin und Alejandro Jodorowsky. Ich habe Leute, die mit mir arbeiten wollen. Ich arbeite natürlich lieber mit Leuten, denen es vollkommen egal ist, wie viel der Film einspielt. Wie Fassbinder oder Lars von Trier. Mit Trier arbeite ich seit 19 Jahren und er würde sich von niemandem reinreden lassen. Als wir mit Fassbinder "Lili Marleen" drehten, hatten die Produzenten Studioverbot. Sie durften draußen auf der Straße stehen, wenn sie mit dem Regisseur reden wollten. Er sagte dann: "Ich will nicht zu viel Geld bekommen, dann reden sie immer rein". Jeder, der mit der eigenen Filmsprache etwas ausdrücken will, wird auch fremden Einfluss vermeiden. In Hollywood ist das schwer. Gus van Sant war bei den Dreharbeiten zu "My Private Idaho" noch frei. Danach fing die Studiokontrolle an. In Amerika ist es üblich, dass die Männer in Anzüge kommen und das fertige Material sehen wollen. Wenn ein Nein kommt, muss man schneiden oder notfalls noch mal drehen. Sie bestimmen den Film. Es ist genau wie Spülmaschinen oder Toaster.
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Hat sich bei Vorbereitungen Prellungen zugezogen: Til Schweiger
Ricore: Sehr nüchterner Blick. Macht Sie das nicht traurig?

Kier: Es ist eine finanzielle Überlegung: Spielt der Film das Budget wieder rein? Wenn Zweifel aufkommen, startet er auf Video. Egal wer mitspielt. Leute wie Brad Pitt oder George Clooney funktionieren einfach. Es ist nicht traurig, wenn man sich dessen bewusst ist. Mich zwingt ja keiner, Filme in Los Angeles zu drehen. Ich mache gerne bei Filmen wie "Armageddon" mit, denn es sind perfekt gemachte Filme. Keiner macht derart perfekte Filme wie Hollywood. Sie haben das Geld dazu. In Deutschland kann man rechnen, wie viele Leute ins Kino gehen. Zwei bis drei Millionen sind schon sehr viel. Was kostet die Kinokarte und wie hoch sind die Produktionskosten? Einfache Kalkulation. Wohin mit einem deutschen Film? Zum Goethe-Institut nach Los Angeles. Ich bin seit 16 Jahren in Amerika. In dieser Zeit liefen dort nur drei deutsche Filme erfolgreich: "Das Boot", "Lola rennt" und "Der Untergang". Der Amerikaner ist an Untertiteln nicht gewöhnt.

Ricore: "Far Cry" ist in englischer Sprache gedreht. Meinen Sie, er hat eine Chance auf dem amerikanischen Markt?

Kier: Ja, sicher. Wenn ein Film gut ist, hat er immer eine Chance. "Das Experiment" zum Beispiel. Davon gibt es ja auch ein Remake. Das gilt aber auch für Spanien, Frankreich oder Italien. Ein Almodóvar kann noch so viele Preise bekommen, er wird in den USA nie kommerziell erfolgreich sein, weil er auf Spanisch ist.

Ricore: Welchem deutschen Schauspieler trauen Sie den Durchbruch in Amerika zu?

Kier: Ich weiß es nicht. Moritz Bleibtreu will nicht. Thomas Kretschmann ist schon da. Ich weiß nicht, ob das jemand überhaupt schafft. Die Studios gehören jüdischen Familien und es heißt immer noch: "Der Deutsche hat die Großmutter umgebracht". Aber irgendeinen wird es geben.
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Til Schweiger ("Far Cry")
Ricore: An welche Ihrer 180 Rollen erinnern Sie sich besonders gut?

Kier: An "Dracula" und "Frankenstein", weil sie etwas für mich verändert haben. Man geht an jeden Film heran und denkt, dass er gut wird. Wenn nicht, dann hofft man auf den Nächsten. Filme mit Lars von Trier sind mir auch wichtig. Gus van Sant war wichtig für meinen Durchbruch in Amerika.

Ricore: Welchen Bösewicht würden Sie noch gerne spielen?

Kier: Hoffentlich noch viele. Remakes sind aber gefährlich. Ich verstehe auch nicht, wieso man ein Remake von einem erfolgreichen Film macht. Es wäre viel spannender, wenn man eine gute, aber keine kommerziell erfolgreiche Geschichte neu verfilmt. Wie kann man zum Beispiel ein Remake von "Gloria" machen? Ein grandioser Film und dann kommt plötzlich Sharon Stone ins Spiel.

Ricore: Vielen Dank fürs Gespräch!
erschienen am 9. Oktober 2008
Zum Thema
Udo Kier gehört zu den schillerndsten Schauspielern Deutschlands. Mit weit über 200 Kinoproduktionen seit Karrierebeginn Mitte der 1960er Jahre ist er zudem einer der produktivsten Akteure im Weltkino. Die Grenze seiner schauspielerischen Tätigkeit ist fließend. Er arbeitet mit Autorenregisseuren wie Rainer Werner Fassbinder, Christoph Schlingensief, Gus van Sant und Lars von Trier, ist sich aber auch für billige Trashfilme nicht zu schade.Andy Warhol produzierten Horrorstreifen "Andy Warhol's..
Far Cry (Kinofilm)
Uwe Boll ist ein eigenwilliger Regisseur. Petitionen, welche ihn zum Aufhören zwingen wollen, oder Boxkämpfe gegen erbitterte Kritiker lassen ihn kalt. Die Kritik spornt ihn eher an. Mit "Far Cry" verfilmt er ein weiteres Computerspiel mit Topbesetzung. Dieses Mal kämpfen Til Schweiger, Ralf Moeller und Udo Kier um die Gunst der Zuschauer. Moeller versuchte dies bereits in "Postal". Doch auch da hagelte es nur schlechte Kritiken. Für seine Unermüdlichkeit kann man Boll nur bewundern.
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